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Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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auch mit verblüffender Wucht, sodass die Stuhlgeschosse nicht am Terrassengeländer zerbarsten, sondern dasselbe in hohem Bogen überflogen und wild um sich selber wirbelnd in der weichen Wiese landeten, wo sie ein paar Fetzen Gras samt Wurzelwerk aus dem Gelände rissen und ebenfalls zum Fliegen brachten. Weiterer Schaden war erstaunlicherweise nicht zu beklagen, denn sämtliche Katzen, Hunde und Esel waren so klug gewesen, sich tunlichst nicht im Stuhlbomben-Abwurfgebiet aufzuhalten.
    Ich hatte mir damals fest vorgenommen, mir diesen speziellen, Unheil verkündenden Tonfall von Sonja gut einzuprägen, um fürderhin rechtzeitig ein Deeskalationsprogramm starten zu können. Falls es wieder mal so weit kommen sollte. Man konnte ja nie wissen …
    Jetzt wusste ich: Es war so weit gekommen.
    «Entweder er oder ich – deine Entscheidung.» Sonja meinte es ernst. Sehr, sehr ernst. Ich konnte mich aber nicht entscheiden zwischen meinem Hürlimann und meiner Sonja, das ging einfach nicht! Was solle denn das für eine doofe Entscheidung sein: Sonja oder Hürlimann oder Hürlimann oder Sonja? Ich brauche beide! Ohne Sonja keine Bäuerin, ohne Bäuerin keinen Bauernhof, ohne Bauernhof keinen Traktor. Sogar ein Prachtstück wie der Hürlimann wäre ohne Sonja völlig überflüssig. Andererseits: Ohne Hürlimann keine Wiesenpflege, ohne Wiesenpflege kein Ertrag, ohne Ertrag keinen Bauernhof, ohne Bauernhof keine Bäuerin. Sogar ein Prachtstück wie Sonja wäre ohne Hürlimann völlig überflüssig.
    Ja, ja, ist ja gut, ich weiß: Ich darf doch meine Sonja nicht mit einem Traktor gleichstellen, die arme Frau ist doch keine Maschine, die zu funktionieren hat, ein Skandal ist das, was ich mir da herausnehme! Wo bleibt der Respekt gegenüber meiner viel besseren Hälfte, wo die verdiente Wertschätzung und die noch viel verdientere Liebe?
    Zu meiner Verteidigung und vollständigen Rehabilitation ist genau jetzt und an dieser Stelle eine Fußnote dringend vonnöten. Um zu zeigen, wie das wirklich ist, bei uns Bauern-Ehe-Leuten, mit der gegenseitigen Wertschätzung.

[zur Inhaltsübersicht]
    Fußnote
    Als Sonja und ich damals vom Konsumparadies Zürich in die Schweizer Voralpen gezogen waren, spulten wir Tausende von Kilometern ab auf der frustrierend erfolglosen Suche nach Dingen, die wir dringend brauchten, die in den Dorfläden der Umgebung jedoch nicht zu bekommen waren. Bis uns Jakob eines Tages erlöste, indem er uns den einzigen Ausweg aus der Bredouille zeigte, den es damals, in der Vor-Internet-Shopping-Epoche, gab: Konsum per Katalog. Als fürsorgliche nachbarschaftliche Hilfsaktion brachte er uns einen halbmeterhohen Stapel von Katalogen. Für Reiterbedarf, Landmaschinenbedarf, Berufskleidungsbedarf, Küchen- und Restaurantbedarf, Tierzuchtbedarf oder Waldarbeiterbedarf, sowie eine Unzahl von mit Werkzeugbedarf für Garten, Haus und Hof bedruckten Wälzern, schwer wie Telefonbücher, die in der Offline-Wüste, die damals noch herrschte, für Bestellungen benutzt wurden.
    In dieser Katalogwelt der unbekannten, dennoch zweifellos praktischen Dinge konnte ich stundenlang versinken. Ich entdeckte verzichtbare und unverzichtbare Gegenstände, von deren Existenz ich bis dato nicht mal eine Ahnung hatte: Kuhmilch- und Heuballenthermometer, Mostflaschen-Verkork-Geräte, Kompost-Sterilisations-Schubkarren, Tisch-Schnapsdestillationen, Einweckgläser-Vakuum-Kompressoren, Armbanduhren, die zugleich Höhenmesser, Wetterstationen und Feuchtigkeitsmesser waren. Wunderbare Dinge, die in keinem Laden zu kaufen waren, die aber offenbar gebraucht werden, sonst gäbe es sie ja nicht. Und an all diese Sachen konnte man herankommen, ohne einen einzigen Kilometer fahren zu müssen: Bestellcoupon ausfüllen, in den Briefkasten werfen, fertig!
    Jedoch der alleredelste und vielseitigste Lesestoff zur Befriedigung echter oder eingebildeter Konsumbedürfnisse offenbarte sich mir in Form der
Bauern-Fundgrube
. Der Inhalt dieser Zeitschrift bestand ausschließlich aus privaten Kleinanzeigen, geordnet nach Fachgebieten. Einen gebrauchten Heuwender zum Beispiel fand man unter der Rubrik «Landmaschinen», der Unterrubrik «Grünland», Unter-Unterrubrik «Heuernte», Unter-Unter-Unterrubrik «Wender». Wer vorhatte, sich eine Katze anzuschaffen, schaute unter «Tiere» – «Haustiere» – «Kleintiere» – «Katzen». Einen Stier konnte man unter «Tiere» – «Nutztiere» – «Wiederkäuer» – «Rinder» – «Zucht» – «Besamung»

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