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Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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Petrus an der Pforte aachlopfe». Aber er, also Jakob, nicht Petrus, er würde sich mal umhören, da stünden ja überall noch alte Hürlimänner in den Scheunen rum, das sei eben der Vorteil von guten Marken, einen Hürlimann würde man niemals wegwerfen, es müsse sicher möglich sein, ein «Original-Kuppligsschibli» zu finden, das noch in Ordnung sei. Andernfalls würde er sich überlegen, wie man eins machen könne, ich müsse ihm dann halt das Alte zuschicken, damit er eine Vorlage habe, und dann würde er schon auf eine Idee kommen, wie er … Aber eben das Einfachere sei, wenn man noch so ein Kuppligsschibli finden könne, ich soll ihn nur machen lassen, er melde sich, wenn er Näheres wisse, aber jetzt für den Moment sei nur eines wichtig: Hände weg vom Hürlimann!
    Hände weg vom Hürlimann! Leicht gesagt. Das ist, als würde man einem Bäcker sagen: «Hände weg vom Ofen.» Ich brauche meinen Hürlimann, und jeder Tag ohne ihn ist ein Tag des Stillstands, des Hürlimann-Stillstands, und daher ein verlorener Tag. Zwar hat uns der alte Krüpki dankenswerterweise sein eigenes altes, tapferes Treckerchen großherzig ausgeborgt, natürlich nicht ohne prophylaktische Standpauke: «Wenn de den mit’m Schaden zurückbringen tust, denn zieh ich dir die Ohren so lang, det deine Esel glooben, du bist einer von ihrer Sorte, det sach ich dir!»
    Dank Krüpki haben wir jetzt immerhin wenigstens fürs Notwendigste eine Zugmaschine. Aber das kann natürlich nur eine vorübergehende Notlösung sein. Der Hürlimann muss wieder in Gang kommen, die Weiden sollten dringend vorbereitet werden für den Winter, sie gehören gemulcht und gestriegelt, und sie wollen gedüngt sein mit dem Stallmist, der sich über den Sommer angesammelt hat und nun auf dem Miststock prächtig vor sich hin kompostiert. Es hilft nichts: Der Hürlimann muss wieder laufen, komme was da wolle.
    Nach Jakobs Hürlimann-Verbot hatte ich schreckliche Entzugserscheinungen: Ich umschlich ohnmächtig das zu schnöder Leblosigkeit verurteilte Prachtstück, ich stieg auf, drehte, wie unter Zwang, den Zündschlüssel, lauschte dem tiefen Plock-Plock-Plock der Maschine, drückte ganz vorsichtig das Kupplungspedal, widerstand heldenhaft dem Drang, einen Gang einzulegen, nahm unter Aufbietung aller mir zu Verfügung stehender Selbstüberwindung den Fuß wieder von der Kupplung und ließ, eine Meisterleistung der Selbstdisziplin, den Motor unverrichteter Dinge absterben. Ich stieg vom Traktor als ein vom Schicksal geschlagener tragischer Held.
    Mit diesem Hürlimann-Problem bin ich meiner Sonja nächtelang in den Ohren gelegen. Das Erste, worüber ich morgens nach unruhigem Schlaf sprach, war der Hürlimann. Dann redete ich den ganzen Tag vom Hürlimann. Und das letzte Wort, das ich flüsterte, bevor ich abends zermürbt und zerschlagen wieder in sorgenvollen Schlaf glitt, war: «Plock-Plock-Plock.»
    Bis mir mein edles und starkes Weib nach einer Serie von zermürbenden Tagen und noch zermürbenderen Nächten ebenfalls Hürlimann-Verbot erteilte: «Dieter, ich kenn das Hürlimann-Problem auch. Es ist da, wir werden es irgendwie lösen. Aber davon, dass du es jeden Tag hundertmal erwähnst, wird es nicht besser. Im Gegenteil: Es macht mich krank, hörst du? Wenn ich aus deinem Munde noch ein einziges Mal ‹Hürlimann› höre, bin ich hier weg. Du wirst dich entscheiden müssen: er oder ich!»
    Sie sagte das sehr bestimmt. Und sehr ruhig. Sie sagte das in genau dem Ton, den sie nur sehr, sehr selten anwendet. Nur, wenn es ihr mit ihrer Botschaft wirklich, wirklich ernst ist. Dieses spezielle Timbre in der Stimme hatte sie zuletzt, es war noch auf dem Hof in der Schweiz, als sie meinte: «Wenn ich noch einmal das Wort ‹Überzüge› höre, fliegen die Stühle raus.» Es war um irgendwelche Hussen gegangen, die mir gut gefallen hätten, so schöne bunte Überzüge, in traditionellem Schweizer Design. Sonja gefielen sie überhaupt nicht, sie hasst Überzüge generell und abgrundtief, und mit Hussen kann man sie um die halbe Welt jagen.
    «Aber diese Bezüge …», hatte ich leise noch anmerken wollen, als die Stühle auch schon flogen. Hinaus. Das ganze Dutzend. Zum Glück stand die breite Terrassentür zufällig offen. Und zum Glück warf Sonja mit erstaunlicher Präzision exakt durch diese Öffnung und nicht durch die Verandascheiben gleich daneben. Zum Glück warf mein zartes Weib nicht nur erstaunlich präzise, sondern, zwölf Mal immerhin, ohne zu ermüden,

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