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Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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vorn und stützte sich mit leicht durchgebogenen Ellenbogen auf seine Lehne. «Sag das noch mal!» Sie reckte das Kinn in meine Richtung.
    Ruhig stellte ich eine einfache Tatsache fest: «Mit dir, Sonja, hab ich alles Glück gefunden, das ich brauche.»
    Endlich öffneten sich ihre Finger, gaben den Stuhl frei, ihre Hände glitten an der Lehne entlang nach unten. Sie richtete sich auf, ihre Stirn glättete sich, ihre Lippen wurden wieder weich. Sie schaute mich mit freundlicher Neugierde an, prüfte, ließ meinen Satz in sich einsickern.
    Nach einer langen Pause fragte sie: «Echt?»
    Ich erwiderte ihren Blick, ohne etwas zu sagen. In die Stille hinein atmete sie durch ihre Nase tief ein und ließ die Luft mit einem langen Schnauben wieder entweichen. «Das sagst du nur, weil du Schiss hast.»
    Ich habe es immer schon gemocht, wenn Sonja versucht, verrauchenden Zorn noch ein Weilchen in Brand zu halten, damit nur ja keiner glaubt, das sei bloß eine dieser lächerlichen, kleinen, typisch weiblichen Launen gewesen. Schon gar nicht sollte das dieser Typ hier glauben, mit dem sie beschlossen hatte, ihr Leben zu verbringen.
    «Ich hab vor gar nichts Schiss.» Ich trat auf sie zu. «Außer davor, dass einer von uns eines Tages wirklich sein Bündel schnürt.» Ich hätte Sonja jetzt gern sanft in die Arme geschlossen, aber die Sitzkante des blöden Stuhls machte meinen Schienbeinen schmerzhaft deutlich, dass versöhnliche Nähe noch nicht möglich war. Prompt verlor ich das Gleichgewicht, mein Oberkörper pendelte unkontrolliert in ihre Richtung. Blitzschnell packte mich Sonja an den Schultern und schob mich von sich weg, zurück ins Lot. Ein Siegerinnenlächeln umspielte ihren Mund. «Hoppla, du Held ohne Furcht und Tadel», sagte sie, strich über meine Schultern und legte ihre Hände sanft um meinen Hals. Sie drückte leicht zu: «Du bist der erste Macker, der keine Angst vor mir hat.» Sie entspannte ihre Finger wieder, nahm sie aber nicht von meiner Kehle. «Und das ist ganz wunderbar. Früher musste ich mich immer davor fürchten, die Typen könnten sich vor mir fürchten. Das war anstrengend.»
    Nun legte ich meinerseits die Hände auf ihre Schultern. «Deine Macker damals waren eben schwächer als du. Ganz im Gegensatz zu mir.»
    «Willst du etwa behaupten, du seiest stärker als ich?» Sonjas Fingerschlinge zog sich wieder zu.
    «Ja, das bin ich», erwiderte ich tapfer.
    «Echt?»
    «Echt!»
    «Wobei?»
    «In der Sportart Flugstuhl-Ausweichen bin ich zum Beispiel stärker.»
    «Und?»
    «In der Sportart Flugstuhl-Werfen, das geb ich zu, da bist du stärker.»
    Sonja löste ihre Finger, meine Gurgel frohlockte. Sie massierte jetzt sanft meinen Kehlkopf. «Was noch?»
    «Im Stuhl-Wegschieben wiederum bin ich der Bessere.»
    «Gar nicht wahr», sagte sie und schob mit ihrem Bein den Stuhl aus der Frontlinie.
    «Nicht schlecht», stellte ich anerkennend fest. «Auch in Sachen Kehlkopfmassage bist du eindeutig geschickter als ich. Dafür kann ich besser küssen.»
    «Gar nicht wahr», sagte Sonja und bewies es.

[zur Inhaltsübersicht]
    Die Prüfung
    Dieser kleine Disput unter Eheleuten ist jetzt fast einen Monat her, und die ersten zwei Wochen danach waren für mich nichts anderes als die Hölle. In diesen dunkelschwarzen vierzehn Tagen, diesen meine Selbstdisziplin bis aufs Äußerste strapazierenden 336  Stunden, diesen endlosen über 20 000  Minuten gelang es mir (und ich bin noch im Rückblick stolz darauf), den Hürlimann kein einziges Mal zu erwähnen. Weder direkt noch indirekt. Kein Wort, kein Hinweis, nicht die leiseste noch so verklausulierte Andeutung: Nichts kam über meine Lippen. Ich verbannte die Worte «Hürlimann», «kaputt», «Kupplungsscheibe» oder «Ersatz» vollständig aus meinem Wortschatz.
    Gefühlte Millionen von intakten, bestens funktionierenden Traktoren jeden Jahrgangs und jeder Bauart donnerten an unserm Hof vorbei – ich würdigte sie keines Blickes. Zumindest nicht in Anwesenheit von Sonja. Wenn ich mich unbeobachtet glaubte, dann allerdings schaute ich den davonbrausenden Kraftpaketen sehnsüchtig nach und schnüffelte verzückt ihrer rußigen Fahne verbrannten Diesels hinterher.
    Die mir von Sonja auferlegte Zensur marterte mich derartig, dass ich ernsthaft begann, mir Sorgen um meine geschundene Seele zu machen. Meine Psyche versuchte verzweifelt, sich vom Joch des gewaltsamen Verdrängens zu befreien. Sie tat das dort, wohin selbst die alles ahnende Sonja keinen Zugang hatte:

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