Lieber einmal mehr als mehrmals weniger
sag schon, was geb ich denn so von mir?»
«Männernamen.»
«Was?»
«Heut Nacht hast du dich gewälzt, gestöhnt und geschwitzt und unverständliches Zeug gebrabbelt. Und dann bist du plötzlich ruhig geworden, hast selig ‹Jaaaakob› gestöhnt, dich umgedreht und weitergeschlafen.»
Ich merkte, wie es mir das Blut ins Gesicht trieb. Augenblicklich verfiel ich in hektische Betriebsamkeit. «Kann ich mir nicht erklären. Seltsam. Sonja, ich erinnere mich an gar nichts. Ein Männername? Seltsam, seltsam. Hm, hm, hm. So, jetzt muss ich aber … Ich räum nur noch schnell das Geschirr in den Spüler und dann … Soll ich deins auch gleich … oder isst du noch?»
«Ich ess noch», sagte Sonja und fügte mit leise spöttischem Lächeln hinzu: «Ist dann ja wohl doch eine Art Alterserscheinung, gell?»
Meine Befürchtung war also eingetroffen: Mein Unterbewusstsein hatte eine tiefenpsychologische Verknüpfung gestrickt, vom kaputten Traktor zum einzigen Traktor-Heilmacher, zum weltgrößten Hürlimann-Emergency-Spezialisten: Jakob. Das bedeutete: Ich musste nicht nur alles verdrängen, was mit Traktoren zu tun hatte, sondern ebenso konsequent alles aus meiner Erinnerung streichen, was auch nur ansatzweise unterbewusste Assoziationsketten zu Jakob auslösen könnte. Ich musste meinen treuen Schweizer Freund von meiner Festplatte löschen. Vollkommen und hundertprozentig. So (und nur so!) war das drohende Unheil, mit geschnürtem Bündel vom Hof schleichen zu müssen, abzuwenden.
Wie konnte das gelingen?
Es gelang, indem ich die Moor’sche Verdrängung-durch-Verknüpfung-Methode entwickelte. Die Beschreibung dieser effizienten Methode möchte ich mir an dieser Stelle ersparen, ich sage nur so viel: Es war wirklich die Hölle!
Aber es funktionierte. Und wie! [1]
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Der Überfall
Jedenfalls ist wohl rückblickend nur durch die vehementen Auswirkungen tiefenpsychologischer Mechanismen zu erklären, warum mir bei jenem Telefonanruf von Jakob, an jenem wunderschönen Morgen, an dem die Schafe dunkelgrüne Flecken im vom Raureif überzogenen Gras hinterlassen hatten, der Groschen nicht schneller gefallen war: Die Begriffe Jakob – Hürlimann – Kupplungsscheibe waren vollkommen in den Tiefen meines Unterbewusstseins versenkt und abgeschottet. Sie brauchten einfach einige Zeit, wieder zum Licht des normalen Menschenverstandes emporzutauchen. Doch jetzt hatte Jakob eines der verbotenen Worte enttabuisiert: «Kupplungsscheibe.» Und damit wurden die Zusammenhänge erneut verknüpft, und endlich konnte ich wieder funktionieren wie ein vernunftbegabter Mensch.
«Jakob!», rufe ich, und mein Pulsschlag beschleunigt sich. «Du hast die Kupplungsscheibe! Und du hast sie sogar schon bei dir!»
«Ja, gäll, he, und bald wird das Kuppligsschibli sogar auch noch bei
dir
sein.»
«Ja, das wäre ja phantastisch.»
«Eben, und deswegen hab ich fragen wollen: Wo bisch du jetz?»
«Wie, was meinst du mit: Wo bist du jetzt?» Echote ich verwirrt.
Jakob lacht. «Ich chan nöd anders fragen als: Wo bisch du jetz, das isch doch eine eifachi Frag, oder?»
«Ja, ich bin hier!»
«Ja, habe ich mir schon gedacht, weisch. Jeder Mensch ist irgendwo in irgendeinem Hier. Aber eben jeder in einem anderen, weisch. Ich zum Beispiel bin jetzt schampar hier, du wärst überrascht … Aber eben, wo ist jetzt
dein
Hier. Bischt du zum Beispiel jetzt im Oben-Hier oder bist du im Unten-Hier?»
Ich erkenne meinen Jakob nicht wieder. Er ist zum Philosophen geworden. Im Unten und Oben, im Hier und Jetzt … Jakob musste mit irgendeinem Hippie-Gen kontaminiert worden sein! Mein kleiner Schweizer überlegt fieberhaft: «Meint der das in Korrelation zum gesellschaftspolitisch-zwischenmenschlichen Kontext oder im metaphorischen Sinne der universellen Weisheit der höheren Wesen hier
oben
in Relativität zu den Menschen hier
unten
oder gar im ganz banal tatsächlich physikalischen Sinne?»
«Also», beginne ich die Analyse, «im gesellschaftlichen Sinne bin ich, wie ich glaube, zumindest nicht ganz unten. Im metaphorischen Sinne erlebte ich soeben einen wunderbaren Morgen, also auch da würde ich sagen, von der gelebten Wirklichkeit her auch einigermaßen oben. Und, äh, rein physikalisch-geographisch befinde ich mich in jenem der beiden Stockwerke, das in Relativität zu anderen höher liegt.»
Ich überlasse es Jakob herauszufinden, welche der drei Antworten die von ihm geforderte Information enthalten
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