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Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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Lehne und hob ihn leicht an, wohl, um schon mal sein Wurfgewicht zu prüfen. Ich konnte richtig sehen, wie im Bio-Computer hinter ihrer Stirn erste ballistische Berechnungen durch die Synapsen zischten.
    «Schon gut, Sonja, erledigt, kein Thema mehr», beeilte ich mich, das drohende Unheil abzuwenden. «Wir haben gar keinen kaputten Traktor! Wir haben überhaupt keinen Traktor, noch nie einen gehabt! Wozu sollten wir einen Traktor haben? Das würde ja nur Sinn machen, wenn wir einen Bauernhof hätten, und den haben wir ja nicht, und auch keine Wiesen, auf denen wir Heu machen. Wofür wir, wenn wir sie hätten, in der Tat einen Traktor bräuchten. Fürs Heumachen und Mulchen und Eggen und Düngen, aber da wir sie ja nicht haben, ebenso wenig wie Schafe oder Esel oder Pferde, die das Heu, wenn wir sie hätten, in der Tat bräuchten, um nicht zu verhungern und welches wiederum wir nur mit einem funktionierenden Traktor für sie ernten könnten. Aber da wir ja all das bequemerweise nicht haben, gibt es überhaupt keinen Grund, über einen hypothetischen Traktor zu jammern, der rein theoretisch kaputt sein könnte – wenn wir damit geschlagen wären, ihn zu besitzen.»
    Fasziniert starrte ich auf den Stuhl, der sich während meiner Rede langsam nach oben bewegt hatte und nun mit senkrecht zur Küchendecke zielenden Beinen über Sonjas Kopf schwebte.
    «Schatz, wirklich, reg dich nicht auf», fuhr ich fort. «Ich hab alles im Griff. Ich kümmere mich ganz still, ohne es weiter zu erwähnen, um das Problem, das wir nicht haben, sondern nur hätten, wenn wir einen kaputten Hürlimann …» Ich schlug mir mit der flachen Hand auf den Mund «Oh! Sch… lipp, schlapp, schlupp, da ist es mir doch glatt rausgerutscht, das böse H-Wort! Armes Weib, jetzt musst du dein Bündel schnüren und dich vom Acker machen. Tja, schade, aber du hast es nun mal versprochen, und Versprechen muss man halten.»
    Jetzt streckte Sonja ihre Arme durch, die Stuhlbeine berührten fast die Küchendecke, ihre Finger umkrallten die Lehne eisern, ihre Nagelbetten leuchteten weiß. In einer oscarreifen darstellerischen Glanzleistung tat ich, als wäre ich nicht im Geringsten beeindruckt, und theaterte weiter: «Und zurück bleibt ein Bauer, der eine Frau mit Trecker sucht. Äh, kannst du mir, bevor du gehst, noch ’ne alte
Bauern-Fundgrube
rauslegen, wegen der Telefonnummer der Inseratenannahme, das wäre lieb von dir, danke. Äh, wie war das noch mal? Bauer sucht Frau mit nicht kaputtem Traktor …»
    Sonja drückte jetzt ihr Kreuz nach hinten durch, ihr Körper wurde zum elastisch gespannten Bogen kurz vor dem Abschuss des Pfeils. Im Zentrum des Fadenkreuzes, das sich jetzt deutlich in ihren blitzblau blitzenden Augen abzeichnete, war eindeutig: ich. Obschon ich mir zutraute, reaktionsschnell unter dem Stuhlgeschoss durchtauchen zu können, sobald es angeflogen käme, hätte es mir doch leidgetan um das schöne Fenster hinter mir … Also trippelte ich ein paar Schrittchen nach rechts, vor die für einen Stuhleinschlag hinreichend solide Ziegelwand.
    «Wer sagt denn, dass
ich
mein Bündel schnüre?», presste Sonja zwischen den Zähnen hervor. Allmählich wurde die Stuhlabwurfhaltung doch ziemlich anstrengend für sie, lange würde sie nicht mehr durchhalten, der Moment, in dem sie gezwungen sein würde, entweder zu werfen oder aufzugeben, stand kurz bevor. «Du hattest die Wahl, und du hast gewählt. Also schwing dich hinter deinen Hürlimann, schieb ihn vom Hof und werde glücklich mit ihm! Abmarsch!»
    «Aber Sonja!» Ich gestikulierte wie ein beim Ehebruch in flagranti ertappter Italiener. «Wovon redest du? Hinter wen soll ich mich schwingen, wer soll das sein, dieser Kerl, dieser Hüli? Er bedeutet mir nichts, ich kenn den ja gar nicht, mit dem werd ich doch nie und nimmer glücklich.»
    «Du kennst keinen Hürlimann?» Sonjas gepresste Stimme verriet die Anstrengung ihres Kraftakts, doch sie war fest entschlossen, nicht abzubrechen. Sie kniff die Augen zusammen, feuerte Blitze aus ihren Sehschlitzen.
    «Noch nie gehört von dem Kerl», versicherte ich. «Ist mir völlig unbekannt.»
    «Und du siehst ein, dass du mit ihm nicht glücklich wirst?»
    «Total seh ich das ein. Wie sollte ich mit ihm glücklich werden, wo ich doch alles Glück der Welt bereits gefunden habe – mit dir?»
    Sonja senkte den Stuhl ab – seine Beine beschrieben einen souveränen Halbkreis in Zeitlupe – und setzte ihn vollkommen geräuschlos auf. Sie beugte sich nach

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