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Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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in meinen Träumen. Zum Teil waren es beglückende Träume: Dutzende Hürlimänner, aufgestellt in Reih und Glied, und vor diesem Hürli-Heer steht prächtig der General-Hürlimann, hell gleißender Chromstahl schimmert in die Weiten Brandenburgs, das husarenrote Blechkleid erstrahlt wie eine über dem Gras aufgehende Sonne. Stolz ist er und frei, denn sein Privileg ist es: IHN zu tragen, IHN , den einzigen und wahrhaftigen Gott der Hürlimänner: Jakob. Gütig lächelnd thront er, erhaben über alle Niederungen der Wiesen und Äcker, auf dem Fahrersitz. Ich erkenne ihn, und also spricht er: «Hier, o Dieter, hier hab ich dir einen Hürlimann erschaffen», sodass ich, mein von Freudentränen nasses Antlitz in das Gras senkend, voller Demut flüsterte: «O Jakob!» Hernach, mit vor Glück rasendem Herzen, wachte ich auf …
    Andererseits aber gab es auch Hürlimann-Albträume: Ein herzerweichendes Schluchzen und Stöhnen dringt aus der Scheune. Als ich hineingehe, gewahre ich den weinenden Hürlimann. Tränen kullern aus seinen Scheinwerfern, klatschen mit lautem Schmatzen auf den Scheunenboden und bilden dort eine Pfütze.
    Ich setze mich hinters Lenkrad. Sanft streichle ich die Kühlerhaube und spreche dem Hürlimann Trost zu. Jetzt quellen auch aus den Rücklichtern Tränen, aus dem Auspuff tropft es, auf dem Blech bilden sich Schweißtropfen, die sich bald zu Rinnsalen vereinen; es regnet vom ganzen Gefährt herab, die Pfütze wird zum Teich. Verzweifelt springe ich vom Hürlimann, das blutwarme Nass dringt in meine Schuhe. Ich strebe zum Haus, jeder Schritt schwer, es quatscht und schmatzt, «die Kupplungsscheibe, ich muss die Kupplungsscheibe finden …» Wie ein Rasender wühle ich mich durch die Werkstatt. «Die Kupplungsscheibe, wo ist die Kupplungsscheibe?» Das Jammern des Hürlimanns schwillt an, treibt mich weiter ins Wohnzimmer, zur Schallplattensammlung. «Scheibe ist Scheibe» – ich schnappe mir
Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band
von den Beatles, bewege mich, behindert durch die Gallertmasse am Boden, im Zeitlupentempo wieder Richtung Scheune, schwenke die Schallplatte: «Schau, Hürli, hier ist sie, die Kupplungsscheibe!» Doch der Hürlimann versinkt im Sumpf seiner Tränen, nur sein chromverzierter Kühler ragt noch empor, seine Scheinwerfer-Augen leuchten ein letztes Mal auf, er scheint sich nochmals aufbäumen zu wollen, doch er ist dem Untergang geweiht. Der Sumpf schließt sich blubbernd über ihm. Ekelig schmierige Blasen steigen auf, zerplatzen schmatzend zu stinkenden Pestwölkchen. Ich weiche zurück, stolpere, stürze, da saugt der Modder bereits meine Beine, die Hüften, dann die Brust in sich hinein … In übermenschlicher, von Todesangst gepeitschter Verzweiflung brüllt es aus mir: «Jaaaaaaakooooob!» Ich versinke … die Sinne schwinden … dann wird alles weiß … ich schwebe auf ein helles Licht zu. Ringo Starr singt: «With A Little Help From My Friends», das Licht kristallisiert sich zum gütig lächelnden Gesicht des Hürlimann-Gottes. «Jakob», flüstere ich und löse mich auf.
     
    «Duhu, spreche ich eigentlich manchmal im Schlaf?», fragte ich Sonja beim Morgenkaffee in möglichst unschuldigem Ton.
    «Hä?», machte sie. «Wie kommst du denn jetzt da drauf?»
    «Ach, nur so … Nur so ein Gedanke.»
    Sonja strich sich Leberwurst auf ihre Schrippe. Es hatte nicht den Anschein, als wollte sie antworten.
    «Hätte ja sein können», insistierte ich schulterzuckend, «eine erste Alterserscheinung vielleicht, oder so.»
    «Oder so», echote sie und schlug ihr makelloses Elfenbein in das Brötchen. «Wasch meinscht gu? Faun’nam’m oder scho wasch?» Sie kaute und schluckte. «Hast du ’ne heimliche Geliebte?»
    «Mehrere, aber von keiner kenne ich den Namen.»
    «Wehe dir», sagte sie. «Kann ich den Orangensaft haben?»
    Sonja sagt niemals O-Saft. Wofür ich ihr dankbar bin; mich befremden Leute, die O-Saft sagen. Ich reichte ihr die O-Saftflasche. «Bitte sehr. Und?»
    «Hmm?» Sie schüttelte die Flasche wie eine Profi-Barkeeperin. «Ach so: ja.»
    «Ich spreche im Schlaf?» Ich war entsetzt.
    «Wie ein Wasserfall.» Sonja füllte ihr Glas bis zum Rand, dann setzte sie die Flasche an ihre Lippen und saugte sie leer bis auf den letzten Tropfen. Arme Flasche.
    «Äh, was denn so?», fragte ich vorsichtig.
    «Jedenfalls keine Frauennamen.» Mit dem Messer hebelte sie brutal ein beachtliches Stück Fleischmasse aus der Leberwurst. «Zu deinem Glück.»
    «Jetzt

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