Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
Vom Netzwerk:
, 17- einhalb sein, aber das wär ja pingelig, unter Teddys Würde: Wegen einzelnen und halben Cents fängt ein gestandener Brandenburger wie er nicht mit Erbsenzählen an. Er hatte also die 34 , 20 dabei, in der Tasche seines riesigen Mantels, den Sonja gerne als Zirkuszelt bezeichnete. Er wollte eben an der Scheune vorbei Richtung Haus, als er das ungewöhnlich helle Licht bemerkte, das aus dem großen Tor über den Hof flutete. Als ob da ein Fest im Gange wäre. Neugierig bog er ab und lenkte seine schweren Schritte dem Hellen entgegen, ein Fest war ihm ja immer willkommen. So wie er auf jedem Fest willkommen war. Fest und Teddy, das passte, das ergänzte sich, da herrschte die reine Harmonie.
    Doch was er dann statt eines Festes sah, ließ ihn, knapp vor der Scheune, abrupt zurückprallen, wie an einer unsichtbaren Wand. Seine Faust schloss sich unwillkürlich um die 34 , 20 in der Tasche, mit der anderen Pranke wischte er sich über die Augen, um sicherzugehen, dass ihm hier nichts vorgegaukelt wurde, kein Trugbild oder so was.
    Es war kein Trugbild. An einer Scheunenwand lehnte ein feuerwehrrotes langes Blechteil, das Teddy als Kühlerhaube des Hürlimanns identifizierte. Im Hintergrund ragten ein Lenkrad und ein Traktorsitz aus einer Art überdimensionalem römischem Kampfwagen. Ein Traktorrad links, eines rechts, dazwischen eine Achse, und da, wo es weitergehen müsste, mit Motor, Kühler, Lenkgestänge und Vorderachse, war: nichts. Als ob ein Riese den Hürlimann auseinandergerupft hätte wie eine Baguette. Die traurigen Reste des ehemaligen Vorderteils erkannte Teddy nur noch mit Mühe. Die chromverzierte Kühlerfront lag platt auf dem Boden, daneben blutete Flüssigkeit aus dem ausgebauten Kühler, der wirkte wie das überflüssig gewordene Organ eines Tieres. Die beiden Vorderräder, nur noch lose verbunden durch das Skelett des Lenkgestänges, lagen weiter drüben, so grotesk gegeneinander verdreht, dass es weh tat hinzugucken. Auf einem kleinen Palettenstapel hockte ein schwarz-öliger Metallblock, umgeben von unzähligen Zahnrädern und Zylindern wie eine gebärende Muttersau von ihren Frischlingen. An der anderen Wand war eine Art Tapeziertisch aufgebaut, darauf lag Folterbesteck in großer Menge, in kleine Plastikschächtelchen verteilt Schrauben, Bolzen, Muttern, Unterlagsscheiben. Am Ende dieses Seziertisches – «Ja», schoss es Teddy durch den Kopf, «es könnte auch ein Seziertisch sein» – weitere Innereien des ehemals stolzen und nun ausgeschlachteten Hürlimannes: Schläuche und Schläuchlein, Stangen und Stängelchen, Kabel und Kabelchen, Blechteile und -teilchen.
    Und über diesem Chaos schwebte, an Ketten hängend, ein weiterer Metallblock: das herausgerissene Riesenherz des Hürlimanns. Daran angebaut, das gleißende Licht seltsam silbrig reflektierend, ein Propeller, als ob der Motor, denn um den Motor musste es sich wohl handeln, vermutete Teddy, als ob dieser angekettete, gefolterte, seiner schützenden Hülle gewaltsam entrissene Motor darauf hoffen würde, mit diesem Propeller auf und davon fliegen zu können. Wenn der sich nur schnell genug drehte. Aber da drehte sich nichts, da bewegte sich nichts, da war nur kalter Stillstand. Totes Metall. Sinnloses Stückwerk, isoliert von jenem genial durchdachten Zusammenspiel jedes einzelnen Teils mit den Tausenden anderen Teilen, das als Ganzes zu kraftvollem Maschinenleben erwachen konnte.
    Eine menschenähnliche, unheimlich fremde Gestalt mit grünen Händen und schwarz verschmiertem Gesicht riss brutal an einer der herunterbaumelnden Ketten, ein Rasseln und Rattern ertönte, der Motor senkte sich langsam in die schnöden Niederungen des Scheunenbodens. «So, das hettedmer», rief der Außerirdische, «chom meren schnäll cho absichere.» Das war eine Alien-Sprache, die Teddy nicht verstand. Und genau den, seinen Verstand, begann er jetzt langsam, aber spürbar zu verlieren.
     
    «So, das hätten wir», ruft Jakob auf Schweizerdeutsch, als der Motor wieder den Boden berührt, «komm, hilf mir, ihn schnell absichern.»
    Ich klaube rasch ein paar Stücke aus dem Abfallholzhaufen, der sich im Laufe der Zeit hinter der Scheunentrennwand gebildet hatte. Als ich mich aufrichte, sehe ich Teddy. Kreidebleich. Das Weiß seiner entsetzt aufgerissenen Augen erinnert an ein Tier in Panik. Aber er flieht nicht, er steht regungslos da und starrt zum Motor. Nur das leise Hin- und Herschwanken seines riesenhaften Körpers verrät seinen inneren

Weitere Kostenlose Bücher