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Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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Sie haben doch eben ein Werkstück aus Titanium von uns in Empfang genommen, oder nicht?»
    Verzweifelt drehe ich mich zu Jakob. Doch der hockt stumm auf seinen beiden Bolzen wie die brütende Glucke auf ihren Eiern und blickt stur geradeaus in undefinierte Weiten. Ich wende mich wieder an die schöne Stimme. «Ah», krächze ich, «aus Titan, äh, ja Titan … ium.»
    «Ebend», gurrt sie im Tonfall
Gütige Lehrerin lobt Schüler für die Lösung der Deppen-Rechenaufgabe zwei mal zwei ist gleich …
«Sagen Se, wer hat es Ihnen denn eigentlich übergeben, det fertige Werkstück?»
    «Äh, also, wie er heißt … äh …»
    «War det so ’n langer dünner mit Kantenkinn, so Ende vierzig? War det der Sandro? Der war’s doch, der Sandro, oder?»
    «Also, ob der jetzt Sandro oder Sandor …»
    «Nö, nö, machen Se sich keen Kopp, Sandro, det stimmt schon. Was hat er denn verlangt, der Sandro?»
    «Was machte das noch mal gleich, Jakob? Ich erinnere mich nicht genau, waren … waren das nicht so in etwa so …»
    «Sächzgi», kommt es leise von Jakob.
    «Wie bitte?», fragt die schöne Stimme.
    «Sechzig», dolmetsche ich. «Mein Freund hier meint: sechzig.»
    «Na denn kommen wir der Sachlage ja allmählich auf den Grund. Ihr seid ja überraschend schnell, wa, ihr Schweizer. Schnell im Abhauen, wenn ich mal so sagen darf.» Die Frau lacht kurz auf, dann zieht sie einen gefalteten Zettel aus der Gesäßtasche ihrer Jeans, ich vermute die Vorladung vor den Untersuchungsrichter. Sie überreicht sie mir in der gleichen bedeutungsschwangeren Beiläufigkeit, mit der im Fernsehen die schönen, jedoch stahlharten Kommissarinnen den Übeltätern das ultimative Beweisstück überreichen.
    «Wissen Sie, der Sandro, der ist ein wirklich Guter, ich mag ihn ja, einer unserer Besten, aber er zieht einfach immer wieder sein eigenes Ding durch, als ob er alleene wär uff der Welt. Sandro, hab ich ihm gestern noch gesagt, als er Ihren Auftrag bei mir anmeldete, Sandro, sag ich zu ihm, denn mach ich jetzt schon mal die Quittung über die 60  Euro fertig und leg sie dir hier auf den Tresen, ja? Und du, Sandro, holst sie morgen auf ’m Weg in die Dreherei bei mir ab und überreichst sie den Herren nach Erhalt des Betrages. Macht er, sacht er. Macht er! Und wat liegt da auf dem Tresen, als ich ins Büro komme? Ihre Quittung! Von wegen – macht er! Also wirklich, ich mag den Sandro, sehr sogar, aber manchmal könnt ich ihn … ach, is auch egal. Nu haben Se ja Ihre Quittung. Gut, dass ich Euch schon von weitem ranfahren sehen hab! Noch hab ich ja den Überblick, sag ich immer. Ich bräuchte dann bitte nur noch hier Ihre Empfangsbestätigung, da unten, warten Sie, Stift hab ich auch dabei, so, na alles gut, nu kriegen wir keinen Ärger mit dem Finanzamt, wir drei, wa? So, denn bräucht ich nur noch mein Doppel zurück, vielen Dank, nu hat alles seine Ordnung, und der Sandro, der ist mir ’n Schnaps schuldig. Aber so was von …»
    Die Frau schiebt ihren Durchschlag in die Gesäßtasche und beugt sich ins Auto. Vanilleduft. «Hey, Herr Schweizer», lässt sie ihre Stimme an mir vorbei Richtung Jakob vibrieren. «Wenn Se wieder mal was verbrochen haben, mit Herz oder so, Sie wissen, wo Sie mich finden. Vergessen Sie bloß nicht uf mir, junger Mann!»
    Jakob schenkt ihr ein Lächeln. «Da müssen Sie sich keine Sorge machen,
Sie
vergiss ich garantiert niä meh!»
    Sie lacht kurz auf, zieht ihren Kopf ins Freie zurück und schlägt mit der flachen Hand in schnellem Rhythmus dreimal aufs Autodach. «Und ab», vernehmen wir noch einmal ihre Stimme. Im Rückspiegel beobachte ich, wie sich eine zierliche Frau in rotem Pulli und engen Jeans in perfektem Laufsteggang geschmeidig Richtung Werft-Leitung bewegt. Kurz hebt sie die Hand über die Schulter und winkt knapp, ohne sich umzudrehen.

[zur Inhaltsübersicht]
    Rehabilitation
    «Jetzt fahrt er wieder», sagt Jakob und schnalzt den letzten der vier Kühlerhauben-Haltegummis in die Metallöse über dem Motorblock.
    Ich erwidere nichts, schaue Jakob nur zu, wie er sich seine grünen Latex-Dinger von den Händen rubbelt und sie Richtung Mülleimer wirft. In perfekter Parabel segeln sie, mit den Fingerlingen flatternd, wie zwei absurde Flugwesen durch die Scheune und landen präzise auf den ölverschmierten Putzlappen, mit denen wir den Eimer während unserer Hürlimann-Operation nach und nach bis zum Rand gefüllt haben.
    «Bingo», kommentiere ich. «Perfekt!»
    Jakob bezieht es auf

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