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Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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breitet das Tuch aus und platziert darauf den alten neben den neuen Herzbolzen. Dann beginnt er zu messen. «Achteviärzgi, zweihundert zwänzg zu, Momänt, zu achtevieärzgi zweihundert zwänzg, da händ mer auch achteviärzgi, zweihundert zwänzg, sehr guät …» Einige Minuten hantiert Jakob mit seiner Schieblehre an den Metallteilen herum und murmelt Messdaten. Schließlich wickelt er beide Stücke in das Tuch und kommt wieder hoch, auf Augenhöhe. «Guät», sagt er zu Sandro. «Abgenommen. Ein dickes Merci an den tollen Dreher.»
    «Kein Problem», macht Sandro. «Denn könnt ihr ’n ja nu einbauen in euren Hür … Dingens-Trecker.»
    Nun ist unausweichlich der Moment der Wahrheit gekommen: die große Preisfrage. Ich spüre meinen wild klopfenden Puls im Hals.
    «Was sind wir denn schuldig?», frage ich so beiläufig, wie ich eben kann.
    Sandro zuckt mit den Schultern, dann sagt er: «Na ja, ist ja ’ne Spezialanfertigung. Da gibt’s natürlich keen Listenpreis.» Er massiert nachdenklich sein scharfkantiges Kinn. Gebannt warte ich auf die Verkündigung des Preises. «Komm schon», denke ich, «rück’s raus, gib’s mir, mach mich fertig.» Doch Sandro hat Zeit, viel Zeit. «Na», lässt er sich nach unendlichen, ewigen Sekunden hören, «ich sach mal … gebt mir 60  Euro, und denn ist jut.»
    «Was?», rutscht es mir raus. «Sagten Sie 60  Euro? Ha … ha … hab ich richtig verstanden, sech-zig?»
    «Na ja», Sandro schlenkert mit seinen langen Armen. «Wir mussten ja immerhin die ganze Drehbank umrüsten, und es ist ja nu auch Titan, und …»
    «Also, ich find, das isch fair», mischt sich Jakob ein. «Würkli, Dieter. Ich hab dir ja gesagt, du musst mindeschtens mit 50 , also mit 50 muscht du schon rechnen, hab ich dir doch gesagt.» Ich schaue Jakob an wie eine Erscheinung. Doch der wendet sich Sandro zu: «Damit musste er schon rechnen, ich hab also auch etwa in diesem Rahmen, hab ich es also auch etwa geschätzt, weisch, also zwischen 50 und 70 etwa, hab ich ihm gesagt.»
    Sandro nickte Jakob einvernehmlich zu. Fachleute unter sich. Ich fingere einen Fünfzig er- und einen Zwanziger- Schein hervor und überreiche sie Sandro. Um nicht endgültig als knickriger Geizkragen dazustehen, stammele ich: «Stimmt so, Rest … äh … Kaffeekasse!»
    «Jedankt», sagt Sandro und steckt das Geld ein.
     
    Jakob und ich sprechen keinen Ton, als ich den Jeep über das Werftgelände navigiere. Uns ist klar: Dieser Preis ist der Schwarzarbeitertarif, das Titan geklaut und der Bolzen ist zu nachtschlafender Zeit, lange nach Betriebsschluss, hinter dem Rücken der Firmenleitung gedreht worden. Auf eigene Kasse. Wir haben gerade einen illegalen Herzbolzen gekauft! Wir sind: Kriminelle …
    Mit eingezogenem Kopf fahre ich an der Werft-Leitung vorbei, biege Richtung Dschungel ab und … dann sehe ich: die Frau. Heute roter Pulli. Unter dem V-Ausschnitt leuchtet eine weiße Bluse. Enge Jeans. Dieselben Stiefeletten wie gestern. Sie rudert mit den Armen. «Haaalt», ruft sie. «Halten Se an!»
    Aus. Ende. Fertig. Jetzt wird alles auffliegen. Anzeige, Verhöre, Verfahren, Verurteilung, Entzug des Aufenthaltsrechts. Und keine Chance, an dieser zierlichen Frau, die sich zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort befindet, vorbeizukommen. Gleich wird sie uns fertigmachen, mit ihrer schönen Stimme, und es gibt keine Fluchtmöglichkeit. Blitzschnell schiebt Jakob das Tuch mit dem Herzbolzen unter seinen Hintern. Wohin wird er ihn schieben, frage ich mich, wenn uns die herbeigerufene Polizei zum Aussteigen auffordert?
    Ich bremse vor der Frau und lasse die Scheibe runter.
    «Na, Sie kommen mir nicht so einfach vom Gelände wa?» Sie umrundet die große Kühlerhaube und baut sich neben dem Fenster auf; ihr Kopf befindet sich fast genau auf Höhe des meinen. «Wir haben doch noch wat zu erledigen, wir dreie. Sind Sie denn auch zufrieden mit dem schönen Stück aus unserer Dreherei, die Herren?» Ach, von der Sorte ist die also, denke ich, die Katze spielt noch ein wenig mit der Maus, bevor sie ihr genüsslich die Zähne ins Genick rammt.
    «Das Stück?», frage ich diffus.
    «Na, den
Verbrochenen
. Den Herzebolzen, den Se grade bei uns abgeholt haben.»
    Fieberhaft suche ich nach Worten, ich brauche dringend und jetzt sofort jene einzig richtigen Worte, die uns aus der Klemme helfen, die rettenden, die erlösenden Worte. Aber da sind keine. Kein einziges.
    «Na, nu machen Se doch hier nicht einen auf Begriffsstutz.

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