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Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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Nagel nicht wirklich auf den Kopf. Mit Eisen und Schmieden hat er schon längst nichts mehr am Hut. Hat es zwar gelernt, von der Pike auf: Erst Schmied bei seinem Vater, dann Weiterbildung zum Hufschmied, aber zu guter Letzt wollte es das Schicksal, dass er sich radikal von Eisenbeschlägen abwandte. Durch Zufall war er nämlich an Europas berühmtester Pferdeklinik der persönliche Hufschmied des berühmtesten Professors der Pferdemedizin geworden. Diese wissenschaftliche Koryphäe befasste sich mit den «Folgen der Einwirkung von Fliehkräften auf Pferdeextremitäten».
    Um es kurz zu machen: In gestrecktem Galopp beschleunigt so ein Pferdehuf von null auf hundert Stundenkilometer in einer drittel Sekunde! Und bremst beim Aufsetzen genauso schnell wieder auf null ab, um im nächsten Augenblick wieder auf D-Zug-Tempo beschleunigt zu werden
.
Und das in rasend schnellem Rhythmus.
    Wenn man sich nun in die Lage eines solchen Hufs versetzt, wird schnell klar: Da wird mächtig gezerrt und gerissen an Knochen, Sehnen und Gelenken. Und dann ist auch klar, dass es keine gute Idee ist, diesen Huf durch Befestigung von schwerem Eisen noch wuchtiger und träger zu machen. Also entwickelte der Professor gemeinsam mit Karl eine Methode, die unbeschlagenen Hufe nur durch gezielte, millimetergenaue Bearbeitung mit Schnitzmesser und Raspel so zu formen, dass keine Sehne des Pferdebeins überlastet wird. Und für Notfälle oder bei Überbeanspruchung entwickelten sie einen Pferdeschuh aus leichtem Kunststoff, der mit einem speziellen, ebenfalls eigens entwickelten Heißkleber mit dem Huf verbunden wird.
    So wurde Karl zum Großmeister gesunder Pferdefüße, und sein Ruf, selbst hoffnungslose Fälle wieder auf Trab zu bringen, breitete sich unter Pferdeleuten in rasendem Tempo aus. Bald war Karl in der Szene zur Legende geworden, und wer immer ein lahmendes Pferd sein Eigen nannte, versuchte Karl, den Retter, heranzuholen. Leute mit wertvollen Pferden scheuten dabei weder Kosten noch Mühen, diesen Wundermann notfalls auch von weit her anreisen zu lassen. Bei Rennstallbesitzern wurde er bald zum umschwärmten Star seiner Zunft.
    Und da es auch im Arbeiter- und Bauernstaat durchaus Privilegierte gab und bei diesen wiederum das Bedürfnis, dem edlen Sport der ehemaligen Adelselite zu frönen, gab es auch eine berühmte Pferderennbahn. Und dazu natürlich, als wichtiges Zubehör, die Pferde. Sehr wertvolle Pferde. Und so kam es, dass Karl des Öfteren mal aus dem nördlichen Wessi-Land nach Brandenburg reiste, um auch den Rennpferden des – sagen wir mal –
etwas
besser gestellten «Proletariats» auf die Sprünge zu helfen. Und dort, in Brandenburg, wurde er schließlich von seinem Schicksal ereilt. Es hieß: Gaby.
    Gaby, eine burschikose, sportlich gebaute Frau Mitte dreißig mit wild-wuscheligem Blondschopf, verfügt über ein im Grunde sehr umgängliches und lebensbejahendes Wesen, welches sie jedoch blitzartig eliminieren konnte, wenn ihr etwas gegen den Strich ging. Sehr gegen den Strich geht es ihr, wenn ein Tier gequält oder auch nur respektlos behandelt wird. Dann verwandelt sich Gaby, der fröhlichen Wildfang, in Gaby, die Furie, die fauchende Löwenmutter. Und es kann leicht sein, dass sie sich nicht aufs Fauchen beschränkt, sondern auch Zähne und Krallen einsetzt. Tiere gehen ihr über alles. Und von allen Tieren die Faszinierendsten sind in Gabys Augen: Pferde.
    Ihnen hat sie ihr Leben gewidmet. Schon als Kind war sie bereit gewesen, in Pferdeställen zu schuften für den Lohn einer einzigen glücklichen Stunde auf dem Rücken eines Pferdes. Später ließ sie sich zur Pferdepflegerin ausbilden, dann zur Bereiterin und schließlich zur Pferdewirtin. Alles mit Diplom. Und sie entwickelte ihre eigene Methode, Pferde zur Zusammenarbeit zu motivieren. Eine Methode der Sanftheit, des Vertrauens, des Respekts. Mit den klassischen Herrenreitern, die ihre Tiere mit Gerte und scharfer Trense zum Gehorsam zwangen, focht Gaby manch heftigen Strauß. Die Erfolge, die sie mit ihrer Ausbildungsmethode erreichte, dienten ihr als gute Argumente; Erfolg war nun mal nicht wegzudiskutieren. Mit diesem Erfolg war sie dann auch zu ihrem Job gekommen, hier beim staatlichen Renommiergestüt auf dem Rennbahngelände. Damit hatte sie ihre Erfüllung gefunden. Pferde, Pferde, Pferde. Und auch ihren ganzen Stolz, ihren großen Schatz, hatte sie hier unterbringen können: Marlon, einen wunderschönen Trakehner Wallach.
    Als es plötzlich hieß,

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