Lieber einmal mehr als mehrmals weniger
Was soll ich das arme schwache Kind da neben mir unnötig aufregen.
«Nun reg dich nicht unnötig auf, Dieter», sagt Alice völlig ruhig. «Das bringt doch nichts. Sonja weiß, was sie tut.»
Und wie um Alices Optimismus zu verhöhnen und Lügen zu strafen, steigert sich das Rumpeln im Wagen zum Crescendo molto fortissimo und bricht unvermittelt ab. Stille. Lange Stille.
«Ditaaaaaah!» Sonja! Wie zwei Sprungfedermännchen schnellen Alice und ich synchron aus dem Gras und laufen zur Heckklappe.
«Was ist, mein Schatz, was ist passiert, brauchst du einen Krankenwagen, wie geht’s dir? So sag doch was …»
Stille. Bedrückende Stille.
«Sonja?», fragt Alice zaghaft, ihre Stirn an die Eisenwand gelehnt.
«Alice-Kind, sag Dieter, er soll nicht so einen Lärm machen, da werden ja die Büffel nervös.» Das glaube ich jetzt aber nicht.
Ich
mache die Büffel nervös, ich bin der Nervösmacher? Ich möchte dezidiert festhalten: Ich bin der nervös Gemachte! «Wir sind fertig, alles gut, wir kommen jetzt raus», hören wir Sonja ruhig, fast zärtlich hinter der Blechwand.
«Obacht, geht’s weg von der Klappe», lässt Waldemar sich hören. Dann sirrt es, die Klappe bewegt sich. «Achtung, Klappe kommt!»
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Coole Kühe
Alice und ich treten ein paar Schritte zurück. Das Kind, pardon, der Teenager, starrt gebannt auf die sich senkende Ufo-Luke. Dahinter tauchen drei offenbar unverletzte Superhelden auf. Mit leicht gegrätschten Beinen stehen sie nebeneinander hinter der Stahlrohrabsperrung. Das Alpha-Team! Links: der hagere Tierarzt Dr. X mit seiner Arzttasche. Rechts: der
Raumpatrouille
-Captain Waldemar in seinem gelben Survival Suit. Und in der Mitte – Trommelwirbel, die Geigen jaulen, die Bläser dröhnen, die Pauken pauken: die Herrin der Galaxis, die gleichermaßen schöne und wilde, die alles überstrahlende und ewig unbezwingbare Queen of the Universe: Sonjaaaaa!
Als die drei mühevoll über die Abtrennung kraxeln, verflüchtigt sich die Cinemascope-Hollywood-Vision abrupt, das Alpha-Team schrumpft in die Dimension des echten Lebens: drei Leute, die getan haben, was getan werden musste, froh, es hinter sich zu haben.
«Grüß dich, Alice-Kind! Ja, schön, dass du da bist.» Sonja strahlt über das ganze Gesicht und drückt Alice an sich. «Sie sind gekommen, Alice, siehst du? Die Kühe sind da!»
«Hab ich bemerkt, ja. Dieter war in Panik um dich wegen des Gerumpels, aber ich kriegte ihn zum Glück wieder einigermaßen runtergecoolt.»
Sie begrüßt den Tierarzt und Waldemar per Handschlag. «Tag, ich bin Alice, das Kind.»
«Und ich bin Benedict, der Tierarzt.»
«Und ich Waldemar, der Fahrer. Grüß Gott, Alice-das-Kind!»
«Ach du grüne Neune», sagt Alice und geht zur Absperrung. «Sind die
schööön
!» Die Büffel stehen jetzt vollkommen ruhig da, als wäre nichts gewesen, kein Bluten, keine Aufregung, kein Poltern. Sie stehen fast bewegungslos und schauen mit ihren sanften dunklen Augen mit den mächtigen Wimpern zum Kind. Wie Wesen, die eine Ewigkeit in einem Zen-Kloster verbracht und die letzten Geheimnisse des Universums enträtselt haben. Sie ruhen ganz und gar in sich. Oder im
Hier und Jetzt
.
«So, ich muss dann», sagt der Tierarzt. «Bin schon wieder spät dran. Also, Frau Moor, bis demnächst. Und … Gratulation, prächtige Tiere haben Sie da. Dass endlich wieder Großvieh auf diesen Wiesen steht, das freut mich.»
«Und wie’s mich erst freut!», lacht Sonja. «Danke, Herr Doktor, fürs Kommen und Ihre Hilfe. Und viel Spaß bei Ihrem Kongress!»
Der Veterinär verzieht das Gesicht. «Spaß? Wollen Sie mich veräppeln? In Krawatte und Joppe gezwängt bis morgen Abend? Von so was hab ich geträumt!» Er winkt kurz, setzt sich, ohne sich abermals umzuziehen, in seinen Silberpfeil und braust nach einer gekonnten Dreipunktwendung auf der schmalen Allee davon.
«Guuuter Typ», bemerkt Sonja ihm nachblickend. «Der hat’s wirklich drauf.»
«Aber», wende ich ein, «er fährt einen silberfarbenen …»
«Ich weiß», unterbricht mich Sonja. «Und? Mit den Kühen kann er gut, und ich kann gut mit ihm. Das ist doch, was zählt, stimmt’s?»
Ich nicke. Wo Sonja recht hat, hat sie recht. Wie so oft.
«Also, pack mer’s», lässt Waldemar sich vernehmen. «Jetzt dürfen’s endlich raus, die Prinzessinnen, gell!»
Sonja übernimmt sofort das Kommando, Bäuerin in Aktion: «Alice, mach bitte den Weidedraht auf. Dieter, du stellst dich hier hin und
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