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Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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ein leichtes Lahmen feststellte. Vorne rechts. Er wird sich ein wenig vertreten haben, dachte sie anfangs. Sie verzichtete auf den geplanten Ausritt, stallte den Wallach in seiner Box auf und schmierte das Pferdebein mit einer Spezialpaste ein, zur besseren Durchblutung. Abends die gleiche Kur gleich noch einmal, das würde helfen. Am nächsten Tag aber war es nicht besser. Marlon war unruhig, zickte rum, sein Bein war leicht geschwollen.
    «Na», sagte Sibylle, die in der Nachbarbox ihr Pferd striegelte, «hast du ein Glück, dass unser Karl am Montag wieder da ist, dann hast
du
ihm ja endlich
auch
mal was darzubieten …» Gaby ärgerte sich mächtig über Sibylles zweideutigen Unterton. «Was du ihm darbietest, reicht vollkommen», schoss sie zurück. «Der ist auch mit Bückware bestens bedient.»
    Sibylle erwiderte nichts, aber ihr Pferd wunderte sich schon, warum der Striegel plötzlich so energisch gehandhabt wurde.
    In den folgenden Tagen brachte Gaby all ihr Wissen, all ihre Erfahrung, all ihre Liebe auf, um dem Pferd zu helfen. Sie machte Umschläge, sie salbte, sie reinigte, sie stellte das Futter um, sie bandagierte, sie massierte, sie gymnastisierte. Viele, viele Stunden kämpfte sie um Marlons Genesung. Sie holte Rat bei jedem greifbaren Tierarzt, bei allen, die sie kannte und die auch nur entfernt was mit Pferden zu tun hatten. Und sie kannte viele. Dementsprechend viele verschiedene, nicht selten sich gegenseitig ausschließende Diagnosen und Ratschläge erhielt sie. Sie probierte alles, doch nichts nützte. Das Pferd lahmte weiter, ja, alles verschlimmerte sich, die Schmerzen wurden immer quälender. Schließlich wollte Marlon überhaupt nicht mehr auftreten und humpelte mühsam auf drei Beinen herum. Gaby war am Ende ihres Lateins.
    «Sach ma, min Deern, wie lange willst du dein’ Gaul denn noch betüdeln, statt ma was gegen das böse Aua zu machen bei dem armen Tier?» Karl lehnte sich über die Boxenwand, blitzte Gaby spitzbübisch an und ließ kleine Rauchwölkchen aus seiner Pfeife steigen. Rauchen im Stall, dachte Gaby, das ist ja wohl das Letzte. Aber sie behielt es für sich. Bloß nicht beachten, dann haut der gleich wieder ab. Sie drehte ihm den Rücken zu und begann, die geschwollene Fessel des Pferdes vorsichtig einzubandagieren. Karl hatte rein gar nichts gegen den Anblick einzuwenden, der sich ihm auf diese Weise darbot. Und so kam es, dass der erfreute Karl und die verärgerte Gaby zum ersten Mal gleichzeitig das Gleiche dachten: Was für ein Arsch!
    Als Gaby sich wieder aufrichtete, war sie einigermaßen erstaunt, die Stummelpfeife immer noch hinter der Boxenwand qualmen zu sehen. Karls Eisfeuer-Augen blitzten sie an. «Es ist natürlich auch möglich», sagte er, «dass du scharf bist auf Pferdewurst und es gar nicht mehr abwarten kannst, bis dein Kleiner am Haken hängt. Und wenn du fleißig so weiter machst, denn ist das in ein, zwei Wochen so weit, das sach ich dir, min Deern. Und denn guten Appetit!»
    «Red kein Blech», fauchte Gaby. «Der kommt nicht in die Wurst.»
    «Na, denn bin ich aber froh», entgegnete Karl, von Gabys Zorn völlig unbeeindruckt. «Ich sach ma: Das wär ja auch wirklich schade um so ein nettes Hottehü, nich?»
    «Du hältst mich wohl für so ’ne Freizeit-Pferdetante, was?» In Gabys Stimme vibrierte ein gefährlicher Unterton «’ne doofe Ossi-Tusse, die keinen Schimmer von nüscht hat und nichts Besseres zu tun, als sehnsüchtig zu hoffen, das so ’n neunmalkluger Hufkleber-Wessi wie du ankommt und sie von ihrer Unwissenheit befreit, wie?»
    Karl blieb ganz ruhig und lächelte. «Jo, ungefähr genauso denk ich mir das.» Gaby war sprachlos. «Das mit der Tusse könnte man meinetwegen wechlassen», schränkte er ein. «Und ’n büschen Ahnung haste ja vielleicht auch, aber dass ich dich von deiner Unwissenheit befreie, darauf kannst du Gift nehmen.»
    «Ach, hau doch ab mit deiner Stummelpfeife und nerv’ die Weiber, die das auch noch toll finden.»
    «Damit das klar ist, min Deern, ich bleib hier, bis ich mir den Huf von dei’m Gaul angesehen habe. Dem tut das nämlich mächtig weh da drinnen, weißt du? Und ich kann’s nu mal nicht verknusen, wenn Tiere leiden.»
    Und mit diesem Bekenntnis hatte er sie.
    Schlagartig war Gabys Zorn weg. Verpufft. Er hatte recht, wurde ihr klar. Es ging hier nicht um den doofen Wessi oder um ihren Ossi-Stolz, es ging um das Pferd.
    «Und», fragte sie, «was willst du machen mit meinem

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