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Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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man überlege, wegen drei, vier Problempferden doch mal diesen berühmten Hufkleber-Wessi beizuziehen, da war Gaby ja gleich dagegen gewesen. Hatte man hier im Osten denn etwa nicht genügend eigenes, bestens ausgebildetes Fachpersonal? Aber nein, die Chefetage musste ja unbedingt ausgerechnet diesen BRD -Fischkopp ranholen. Was für eine Blamage, wie peinlich!
    Und als Gaby den Wessi-Promi dann zum ersten Mal sah … Schon wie der hier ankam, als wäre er direkt vom Himmel herabgeschwebt mit seiner feuerroten schwedischen Protzkarre. Und dann: Wie der ausstieg und einen auf dicke Eier machte, wie der mit seinen kurzen Stampfbeinchen schlackerte, während er Richtung Stall stolzierte, erzählend und lauthals lachend, damit auch ja jeder mitkriegte, dass ER jetzt seinen Auftritt hat, seine Wichtigkeit aus Besserdeutschland, einer, der weiß, wie’s geht und es diesen Ossi-Luschen jetzt mal zeigt. Widerlich.
     
    Karl kam in schöner Regelmäßigkeit, so zirka alle zwei Wochen. Und Gaby ging er immer mächtiger gegen den Strich. Sie konnte einfach nicht verstehen, was die ganzen anderen Mädels an dem Kerl nur finden konnten. Wie der schäkerte und lamentierte und seine ollen Kamellen von der großen Welt da draußen zum Besten gab, okay, ja, er konnte ganz unterhaltend erzählen, zugegeben, aber mussten diese doofen Lotten denn deshalb gleich ihre Titten recken, sich in die Haare fassen und mit den Wimpern klimpern? Ekelten die sich denn gar nicht vor dieser Stummelpfeife, die dem Typen permanent im Mundwinkel hing wie ein verschrumpeltes Mini-Saxophon und sein Kinn verschmodderte? Und dieser Schnurrbart erst! Wie konnten sich die Mädels auch nur ansatzweise vorstellen, so etwas zu küssen? Das sah ja aus wie ’ne unter die Dampfwalze geratene Schuhbürste. Ein anständiger Mann hatte so was vielleicht im Spind, aber doch nicht im Gesicht! Aber das sahen die doofen Lotten ja alles gar nicht. Wie hirnlose Hypnoseopfer fielen die auf seine blauen Leucht-Glubscher herein, mit denen er sie antropfte, der Geilsack. Und schon hatten die nichts Besseres zu tun als loszuzwitschern: «Karl, kommst du dann auch mal zu meinem Pferd? In meine Box?» Ha, warum nicht gleich: «In meine Koje, auf meine Matte!» Schlampen, das. Wessi-Wind-Löcher.
    Karl jedoch genoss natürlich die Zuwendung, die ihm hier so reichlich widerfuhr. Er ließ es sich gerne gefallen, wie manche Pferdefrau sich besonders tief über einen Huf beugte, während er ausführlichst erklärte, was hier und da und «siehst du mein süße Deern» da auch noch zu beachten und beobachten war, und er wusste die freizügigen Einblicke in die Dekolletés durchaus zu schätzen, die ihm gewährt wurden, auf dass auch er etwas zu beachten und beobachten hatte. Ja, er freute sich schon jedes Mal mächtig auf seine regelmäßigen Besuche auf dieser Rennbahn, denn ohne Zweifel: Hier war er der Hahn im Korb. Der Platzhirsch.
    Aber etwas wurmte ihn doch. Zuerst nur ein klein wenig, dann störte es ihn empfindlicher, und schließlich ließ es ihm keine Ruhe mehr: Diese herbe Hübsche mit dem blonden Wuschelkopf und dem süßesten Apfel-Po, den er je gesehen hatte, die ignorierte ihn konsequent. Schon seit Monaten. Ging an ihm vorbei mit einem gemurmelten «Tach», ohne ihm in die Augen zu sehen. Wenn er erzählte und alle, wirklich alle sich bogen vor Lachen, tat sie, als wären seine schönen Geschichten bloß Pferdefürze.
    Er ging dazu über, sie gelegentlich anzusprechen, mit irgendwelchen pseudohaften Alibi-Fragen wie: «Wo habt ihr denn die Tränkeimer?» «Wem gehört denn der schöne Schwarze da drüben?» Sie reagierte jedes Mal, um es dezent auszudrücken, sparsam: «Beim Wasserhahn»; «Müller.» Sie verstand es so meisterhaft, ihn zu schneiden, dass es ihn beinahe um den Verstand brachte.
    Und allmählich wandelte sich Karls genussvolle Vorfreude auf die Fahrten zur DDR -Rennbahn in unangenehmer Weise in eine Art aufgeregtes Jagdfieber. Er konnte es sich nicht länger ausreden, es war Fakt: Das Einzige, woran er auf der holprigen Transitstrecke Hamburg–Berlin dachte, war dieser unerreichbare blonde Wuschelkopf mit dem süßesten Po der Welt. Und wenn er dann dieselbe Strecke wieder zurückrumpelte, plagten ihn die Erinnerungen an die neuerlichen Abfuhren, die sie ihm auch diesmal wieder hatte angedeihen lassen. Das Ganze entwickelte sich für Karl allmählich, aber eindeutig in Richtung Liebeskummer.
     
    Und dann kam jener Morgen, an dem Gaby bei ihrem Marlon

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