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Lieber Frühling komm doch bald

Lieber Frühling komm doch bald

Titel: Lieber Frühling komm doch bald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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herrische Frau mit herben Zügen, die sie von oben bis unten gemustert und dann überaus freundlich gesagt hatte: «Sind Sie etwa das Küken, dem der Wagen draußen vor dem Eingang gehört? Zu töricht, dort zu parken! Und unbeleuchtet! Bei dieser Dunkelheit! Aber lassen Sie nur, jeder macht mal eine Dummheit. Machen Sie sich nichts draus!» Und damit war sie lachend verschwunden. Nach ihr war ein junger Mann erschienen, der sich mit zwei schweren Koffern abschleppte. Er stellte sie in der Diele ab und wandte sich ihr zu. «Hallo», sagte er.
    «Hallo», erwiderte sie.
    «Sind Sie mit uns verwandt?»
    «Nein, ich bin bloß gekommen, um -»
    «Gott sei Dank. Ich bin nämlich noch relativ neu in der Familie, und dauernd werden mir hier im Haus neue Verwandte vorgesetzt. Ist das Ihr Auto da draußen?»
    «Ja. Glauben Sie, daß der Schaden sehr groß ist?»
    «Keine Ahnung. Wir können es uns ja mal ansehen.»
    Das gab ihr etwas Mut, und sie zitterte schon weniger, trotz der kalten Winterluft draußen. Er holte eine Taschenlampe aus seinem Sportwagen und richtete den Lichtstrahl auf Miss Thompsons Mini.
    Sie schnappte nach Luft. Der rechte vordere Kotflügel war völlig zerknautscht, der Scheinwerfer zertrümmert. Aber der junge Mann sagte beruhigend: «Na, das geht ja noch. In ein paar Tagen läuft er wieder.»
    «In ein paar Tagen? Ich muß doch nach Hause!»
    «Aber nicht mit dem Wagen. Na, machen Sie sich nichts draus.»
    Wenn ihr bloß nicht jeder raten wollte, sich nichts daraus zu machen. Natürlich machte sie sich etwas daraus. Ihr schöner Mini! Sie hatte so lange dafür gespart! Und überhaupt, jeder hier gab ihr gute Ratschläge oder kritisierte sie—nur den Mann, um dessentwillen sie nach Shepherd’s Warning hinausgefahren war, hatte sie noch immer nicht zu sehen bekommen. Sie sagte: «Ich wollte eigentlich gern Mr. Jocelyn Pentecost sprechen, aber -»
    «Jocelyn? Ach so. Der ist sicher gleich untergetaucht, als er den Krach hörte.»
    Ihr sank das Herz. Vielleicht war er kriegsbeschädigt? «Warum meinen Sie?»
    «Ach wissen Sie, er ist der netteste Kerl von der Welt, aber nicht gerade praktisch. Und nicht sehr gewandt in den schwierigen Situationen des Lebens. Er macht um jede Krise möglichst einen weiten Bogen.»
    «Aha. Ich verstehe.»
    Da stand sie nun vor ihrem kaputten Auto, etliche Kilometer von zu Hause entfernt, und der Mann, den sie hatte besuchen wollen, kauerte womöglich unter seinem Schreibtisch! Was tun? Wenn sie die Straße am Fluß entlangging, würde sie, das wußte sie, schließlich in ein Dorf kommen. Und von dort konnte sie vielleicht mit einem Bus nach Ingerby fahren. Oder sie müßte ein Taxi nehmen.
    Aber die Landstraße war dunkel, und sie kannte die Gegend nicht. Sie traute sich andererseits auch nicht, den jungen Mann oder gar Mr. Pentecost einfach zu bitten, sie nach Hause zu fahren, obwohl sie wußte, daß das ganz natürlich gewesen wäre.
    «Kalt hier draußen», sagte der junge Mann freundlich. «Kommen Sie, wir gehen lieber wieder hinein.»
    Sie gingen wieder in die Diele, und der junge Mann sagte: «Entschuldigen Sie mich bitte, ich muß, glaube ich, mal nach meiner Frau sehen.» Er hatte keine Lust, sich neuen Vorwürfen auszusetzen, und Becky würde sicher gleich wieder mißtrauisch, wenn sie ihn im Gespräch mit der jungen Frau hier fand. Sie sah so zart und so verloren aus! Wie leicht konnte es passieren, daß man in so einer Situation eine Frau beschützend in die Arme schloß, ohne an etwas anderes zu denken! Aber das sollte einer mal einer eifersüchtigen Ehefrau verständlich machen!
    Inzwischen begann es in Wendy Thompson zu sieden. Es war unglaublich, wie man sie hier behandelte! Man hatte ihr Auto beschädigt, hatte sie in der Diele stehen lassen, und jetzt hatte man sie offenbar einfach vergessen. Es war genug! Zum Teufel mit Schriftstellern, die nicht einmal die Höflichkeit besaßen, einen Besucher zu empfangen! Zum Teufel mit dem Klub der Literaturfreunde! Sie riß die Haustür auf, trat nach draußen und schlug die Tür hinter sich zu. Mit dieser Geste schüttelte sie sozusagen den Staub des Hauses Pentecost von den Füßen.
    Über der Einfahrt brannte eine Lampe, aber jenseits ihres Lichtscheins war es jetzt stockfinstere Nacht. Wendy Thompson, die ein Stadtkind war, erschrak und hielt inne. Sie hatte nicht damit gerechnet, daß es so dunkel hier draußen war. Ihr Zorn verdrängte die Angst eine Weile, aber bald legte sich der Zorn, und die Angst ergriff

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