Lieber Frühling komm doch bald
dieser blöden Miss Thompson machen, dachte er. Etwas später ging er ins Schlafzimmer seiner Eltern, nahm einen dunklen Strumpf seiner Mutter aus der Schublade und zog ihn sich über den Kopf. Als er vor dem Spiegel stand, lief ihm selbst ein kleiner Schauer den Rücken hinunter.
Als sie aus dem Wohnzimmer kamen, sagte May: «Wir sind Ihnen wirklich sehr dankbar, Miss Thompson. Auch wenn Sie unsere Befürchtungen bestätigt haben.»
«Ja, sehr dankbar», fügte Jocelyn hinzu und sah sie mit einem freundlichen Lächeln an. Eine reizende kleine Person. Wenn man daran dachte, daß sie da draußen dem Kerl einfach ausgeliefert gewesen war... Sie kam ihm vor wie eine kleine Waise aus Andersens Märchen, und er hatte das Gefühl, sie beschützen zu müssen. Er sagte: «Bitte, bleiben Sie doch zum Dinner, Miss Thompson. Ich bringe Sie dann nach Hause.»
May war der zärtlich-väterliche Blick, mit dem er Miss Thompson ansah, nicht entgangen. Sie liebte ihren Jocelyn, doch sie traute ihm zu, daß er es, wenn er mit Miss Thompson allein im Auto saß, am Ende mit der väterlichen Zärtlichkeit ein wenig übertrieb. «Das wäre reizend», sagte sie. In Gedanken suchte sie angestrengt nach einem «Aber-», fand jedoch keines. Und da hörte sie plötzlich ein zartes, ganz leises Rieseln, das ihr wie vom Himmel fallendes Manna klang. War das möglich? Die Erhörung eines Gebets, das sie noch nicht einmal gesprochen hatte? Sie horchte. Es klang, als tappten winzige Finger vorsichtig an die Fensterscheibe. Ja, es war möglich. Es war so. Und schon kam auch Gaylord angerannt und rief: «Mummi - es schneit! Es schneit wie aus Eimern!»
Sie ging zur Haustür und riß sie auf. Im Nu war sie umringt von tanzenden Schneeflocken. Sie blickte hinaus und sah den Flockenwirbel. Sie sah, wie immer, alles gleichzeitig: ihren Mann mit seinem Beschützerblick, Miss Thompson, klein und schutzlos - sie sah die Situation, die Folgen und die notwendigen Schritte. «Ach, du liebe Zeit!» sagte sie. «Noch eine Stunde, und die Straßen sind blockiert. Sie fahren am besten sofort, Miss Thompson.»
«Ja, bloß... Ich furchte, mit meinem Wagen...»
«Ach ja, natürlich. Wir müssen ihn unterstellen. Aber ich glaube,
Sie dürfen trotzdem keine Zeit verlieren. Mein Schwager Peter kann Sie nach Hause bringen.»
«Ich bringe Sie», sagte Jocelyn großmütig. «Dann können wir gleich über meine Lesung sprechen.»
«Ich dachte, wenn Peter fährt, dann-»
«Peters Wagen ist nicht gerade sehr bequem», erklärte Jocelyn. «Diese Sportwagen sind so schlecht gefedert.»
Miss Thompson strahlte Jocelyn voller ergebener Dankbarkeit an. May sagte etwas schärfer: «Wenn es um Bequemlichkeit geht, wäre vielleicht Vaters Rover das richtige?»
«Aber ich kann doch Vater nicht gut bitten, bei diesem Wetter nach Ingerby zu fahren», sagte Jocelyn fröhlich.
Jetzt ertönte Gaylords Stimme. «Paps - Paps - laß uns eine Schneeballschlacht machen!»
«Dafür ist noch nicht genug Schnee», sagte Mummi.
Und Jocelyn fügte eilig hinzu: «Außerdem muß ich Miss Thompson jetzt nach Hause fahren. Und für dich ist allmählich Schlafenszeit.»
Wie aufregend! Wenn sie nun im Schneetreiben steckenblieben und tagelang festsaßen? Gaylord sah sich verzweifelt durch hohe Schneewehen stapfen, um Miss Thompson, die bereits halb erfroren war, Hilfe zu bringen. «Darf ich mit?» fragte er ohne viel Hoffnung. Er rechnete mit einem klaren «Nein».
«Nein, ich glaube nicht», begann Paps. Aber zu Gaylords höchstem Erstaunen sagte Mummi fast eilfertig: «Aber ja, natürlich, mein Herz. Warte, ich hole dir deinen Mantel.»
Sie ging schnell davon. Gaylord sah ihr verblüfft nach. Beinahe Schlafenszeit, und trotzdem erlaubte sie ihm, diese lange, gefährliche Fahrt mitzumachen! Er verstand die Welt nicht mehr. Meist wußte er ganz genau, was Mummi tun oder sagen würde. Doch er wußte auch, daß sie manchmal, in ganz, ganz seltenen Fällen, etwas völlig Unerwartetes tun konnte. Wie eben jetzt.
«So toll hab ich’s noch nie schneien sehen. Du, Paps?» Gaylord hüpfte auf dem Rücksitz fröhlich auf und ab.
Miss Thompson sagte: «Mrs. Pentecost wird mir gewiß nie verzeihen, daß ich Sie an einem solchen Abend als Chauffeur ausnutze.»
Der Wagen rutschte und schlingerte. Die Schneeflocken fielen wie Heuschrecken über ihn her. Zu Tausenden warfen sie sich gegen die Windschutzscheibe. Der Wischer fegte sie unaufhörlich weg, aber sie kamen unermüdlich wieder.
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