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Lieber Frühling komm doch bald

Lieber Frühling komm doch bald

Titel: Lieber Frühling komm doch bald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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getrunken.»
    «Unsinn, John. Sodawasser deprimiert.»
    «Whisky aber nicht, Gott sei Dank. Du hast überhaupt gut reden, Bea. Du säufst Gin wie ein Faß, seit du das Haus betreten hast.»
    «Überhaupt, John -» Bea wählte ihre Worte sehr sorgfältig — «es könnte nicht schaden, wenn du auf beides verzichten würdest, auf deinen Whisky und auf das Essen.» Sie musterte ihn kritisch. «Du ißt zuviel.»
    «Es macht mir eben Spaß, zum Donnerwetter!»
    May schob ihren Arm unter Beckys Arm und ging mit ihr in die Küche.
    «Rührend, diese höflichen Umgangsformen der älteren Generation, findest du nicht auch?» Sie seufzte. «Und noch heute morgen hat sich dein Vater bitter beklagt über den Sittenverfall bei der Jugend von heute.»
     
    «Miss Thompson», sagte Jocelyn, «ich habe eine Dummheit gemacht. Es ist mir furchtbar peinlich.»
    «Aber Mr. Pentecost», erwiderte sie in herzlichem Ton, «jemandem, der so schreibt wie Sie, darf vieles nachgesehen werden. Was ist denn passiert?»
    «Ich hab kein Benzin mehr im Tank», sagte Jocelyn zerknirscht.
    Sie legte ihre behandschuhte Hand auf die seine. «Das passiert jedem mal, irgendwann, glauben Sie mir», sagte sie freundlich.
    Gaylords Reaktion war wenig feinfühlig.
    «Mensch, Mummi wird dich ja aufziehen, Paps! Das heißt, falls wir sie wiedersehen», fügte er hinzu. Er hielt das unter den gegebenen Umständen für wenig wahrscheinlich.
    Jocelyn erwiderte nichts darauf. «Ich glaube, gegen neun kommt hier ein Autobus vorbei», meinte er. Zwar glaubte er sich zu erinnern, daß der Bus nicht jeden Tag fuhr, aber das wollte er vorläufig lieber nicht sagen.
    Gaylord äußerte die Ansicht, daß die Straße um neun längst unpassierbar sei, auch für Autobusse. Sein Vater und Miss Thompson überhörten dies. Jocelyn sagte: «Ich finde es großartig, wie Sie sich mit all dem abfinden, Miss Thompson.»
    «Aber Mr. Pentecost, was sollte ich sonst tun?» sagte sie heiter.
    «Es würde mich gar nicht wundern, wenn jetzt noch Wölfe kämen», sagte Gaylord mit düsterer Stimme.
    Auch Miss Thompson hätte es nicht gewundert. An diesem ersten Tag, an dem sie ihre kleine Welt verlassen hatte, war so viel passiert, daß jetzt alles möglich schien. Aber Jocelyn wies seinen Sohn zurecht und sagte: «Wir sind hier schließlich ganz nahe bei Shepherd’s Warning und nicht in der eisigen Steppe.»
    «Wieso eisige Steppe? Unser Lehrer hat gesagt, Hunger treibt die Wölfe von den Wäldern und Bergen, wo sie leben, in die Nähe der Siedlungen der Menschen. Oder es sind Wölfe aus dem Zirkus, wo wir neulich waren. Ausgerückte Wölfe, meine ich.»
    «Gaylord, könntest du nicht deine Phantasie ein bißchen im Zaum halten?»
    «Was heißt das, im Zaum halten?» Aber es interessierte ihn schon nicht mehr. Es war doch immer das gleiche mit den Erwachsenen. Selbst ein so großartiges Abenteuer wie dieses hier mußten sie einem verderben. Aber so leicht gab er sich nicht zufrieden. Er drückte die Nase an die Scheibe und spähte nach draußen in die weiße Unendlichkeit. «Mann, ich glaube, da ist ein Schneemensch», flüsterte er mit unheilverkündender Stimme.
    Miss Thompson betrachtete das kleine eifrige Gesicht. Langsam begann sie, den Jungen zu verstehen. Gestern hätte sie ihm wahrscheinlich beteuert, daß die Existenz des Schneemenschen sogar in Nepal bezweifelt wurde, von Shepherd’s Warning ganz zu schweigen. Jetzt sagte sie: «Sieh mal - da, hinter dem Busch! Er hat sich bewegt.»
    Gaylord war begeistert. Er war sich durchaus nicht sicher gewesen, ob da draußen wirklich der Schneemensch herumstrich. Wenn er ganz ehrlich war, mußte er sogar zugeben, daß er es eigentlich nur gehofft hatte. Aber wenn ein Erwachsener ihn auch gesehen hatte? Mit plattgedrückter Nase spähte er nach draußen. «Eben hat er sich am Kopf gekratzt, Miss Thompson!»
    «Ja. Und am linken Knie.»
    Sie sahen einander an und lachten glücklich. Die haben gut lachen, dachte Jocelyn, auf dem die ganze Verantwortung und ein schlechtes Gewissen lasteten. Hätte er bloß den Benzinstand geprüft! «Wir haben immer noch keinen Termin für die Lesung vereinbart», sagte er. Gleichzeitig dachte er angestrengt darüber nach, ob der Bus, der an bestimmten Abenden über diese stille Straße fuhr, ein nf (nur freitags) oder ein fn (freitags nicht) war - immerhin ein Unterschied. Aber schließlich hatte er, Jocelyn Pentecost, wenn auch mit Tante Beas «Hilfe», Miss Thompson in diese gräßliche Lage gebracht.

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