Lieber Frühling komm doch bald
viel mehr als oberflächlicher Lack. Sie sagen, ich hätte Prinzipien. Aber in der ganzen Welt verhungern Menschen, jeden Tag. Macht es mir wirklich etwas aus, solange sie es im stillen tun und mich nicht behelligen? Das hier ist der Herd. Meine Frau sagt, er hat seine Mucken, seit wir Erdgas haben. Und da stehen die Töpfe und Pfannen und so.»
«Aber was wollen Sie als einzelner dagegen tun, Mr. Pentecost? Was meinen Sie, wie viele Eier?»
«Ein Dutzend vielleicht? Nun ja. Das weiß ich auch nicht. Ich weiß nur, daß es Millionen Menschen gibt, die froh wären, wenn sie einmal am Tage ein Mahlzeit kriegten, wie ich sie dreimal am Tage zu mir nehme, ohne darüber nachzudenken.»
Sie nickte stumm.
Eine reizende Person, wirklich, dachte er. Es mußte hübsch sein, ganz leicht den Arm um sie zu legen. Aber im Augenblick sah sie ihn an, als hätte er einen Heiligenschein. Und außerdem war da noch May, und bei allem Gerede über Moral und Kochen war doch sie es, die seine Gedanken beherrschte. Er sagte: «Aber Gefühle existieren nicht mehr, wissen Sie. Wir sind vom Fernsehen überfüttert mit grauenhaften Bildern und Schrecken. Oh, da ist ja auch Amandas Fläschchen - hier in dem Behälter. Gott sei Dank macht sie mit dem Fläschchen keinerlei Schwierigkeiten.»
«Sie können mir glauben, Mr. Pentecost, es gibt nicht viele Leute, die -»
In diesem Augenblick steckte John Pentecost den Kopf zur Küchentür herein. «Ich werde den Kindern sagen, sie sollen schon mal den Tisch decken, Miss Thompson.» Er sah sich in der Küche um und fragte dann etwas zweifelnd: «Kann ich ihnen sagen, daß wir gleich so weit sind?»
Jocelyn zog es vor zu schweigen. Aber Miss Thompson sagte fröhlich aufgeregt: «O nein, lieber noch nicht, Mr. Pentecost.» Sie lachte vor lauter Glück. «Wir haben uns über Moralbegriffe unterhalten, statt das Abendessen zu machen.»
«Allmächtiger», sagte John Pentecost laut und verschwand im Wohnzimmer. «Nicht zu fassen», murmelte er vor sich hin, während er einen Schuß Sodawasser in seinen Whisky goß. Da reden sie über Moral und lassen einen alten Mann aufs Essen warten!
Wendy Thompson spürte es: sie wurde gebraucht. Ein Schriftsteiler, dessen Bücher sie gelesen hatte, brauchte sie. Sein kleiner Sohn, seine winzige Tochter, sein alter Vater - alle brauchten sie. Sie fühlte, wie plötzlich ihre Kräfte wuchsen. Sie sagte: «Wenn ich das Essen weiter vorbereite, könnten Sie sich dann schon einmal um das Fläschchen für Amanda kümmern, Mr. Pentecost?»
«Bitte, nennen Sie mich Jocelyn. Mr. Pentecost - das klingt so unfreundlich.»
Sie sah ihn unschlüssig an. «Ich weiß nicht, ob ich das fertigbringe.» Aber sie sagte sich den Namen im stillen vor: Jocelyn. Ein sanfter melodischer Name. Er paßte gut zu ihm. «Danke, Jocelyn.»
Sie lächelten sich an. Wendy floß über vor Glück. Doch ihr war sehr wohl bewußt, daß es ein Glück war, das sie später nur noch einsamer machen würde. Dennoch, diesmal wollte sie den Augenblick des Glücks genießen, solange er dauerte.
Er dauerte nicht lange. «Ich glaube, Sie wissen jetzt, wo alles ist. Kann ich Sie eben mal alleinlassen und im Krankenhaus anrufen?» Er verschwand, und als er zurückkam, sagte er, strahlend vor Erleichterung: «Sie ist bei Bewußtsein! Ich darf sie ein paar Minuten sehen! Ja...» Er zögerte und sagte dann stotternd: «Geht es wohl, daß ich Ihnen den Rest überlasse und -»
«Aber natürlich», sagte sie lächelnd und verbarg ihre Enttäuschung. Und auch ihre Angst. Wenn nun der alte Mann etwa die Suppe aus der Dose oder die Omeletts ablehnte und Amanda womöglich ihr Fläschchen nicht trinken wollte...
«Fein.» Er sah sich hilflos um. «Dann fahre ich jetzt.»
Er ging. Von draußen steckte er noch einmal den Kopf zur Tür herein. «Auf Wiedersehen, Miss Thompson», sagte er etwas unsicher.
«Auf Wiedersehen, Mr. Pentecost. Hoffentlich wird alles-»
Er war fort. Und sie blieb einsam zurück.
Furchtbar. Ein Bett nach dem andern, und in jedem lag eine Frau. Jocelyn starrte nicht gern kranke Frauen an, aber wie sollte er May sonst finden? In einem dieser vier Betten mußte sie liegen, und er mußte sie finden.
«Hallo, Jocelyn!» rief eine Stimme. Er blickte in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Ja, da! Aber - sie sah ganz anders aus!
«Jocelyn, du Dummkopf, ich bin’s doch gar nicht.» Er blieb wie
gelähmt stehen. Die Frau, auf die er zugeeilt war, grinste und schüttelte den Kopf.
Weitere Kostenlose Bücher