Lieber Frühling komm doch bald
ihr zweites Pflegekind friedlich schlief. Mit übervollem Herzen ging sie auf Zehenspitzen! die Treppe hinunter.
Jocelyn kam nach Hause.
Wenn man ins Krankenhaus fährt, darauf gefaßt, die kranke Frau dort blaß und elend vorzufinden, und sie statt dessen im Bett sitzt, angefüllt mit nervöser Energie und Geschäftigkeit, dann kommt man sich, auch wenn man noch so dankbar ist, leicht düpiert vor. Auch Jocelyn ging es so. Voll Liebe und Zärtlichkeit und Mitgefühl war er zu ihr hingefahren, und May hatte von all dem eigentlich nichts wissen wollen. Etwas enttäuscht fuhr er nach Hause.
Er betrat das Haus durch die Hintertür, die in die Küche führte, wo Miss Thompson am Tisch saß. Mit freudigem Lächeln erhob sie sich. «Da sind Sie ja. Hoffentlich macht es Ihnen nichts aus, daß ich mit meinem Abendessen auf Sie gewartet habe.»
«Aber Sie sollten doch -»
«Ja, aber ich hatte, ehrlich gesagt, etwas Angst davor, allein mit Ihrem Vater zu essen. Ich hätte gar nicht gewußt, was ich mit ihm reden sollte.» Sie stand schon am Herd. «Ein Omelett, ja? Wie geht’s Ihrer Frau?»
«Danke, den Umständen nach recht gut.»
«Oh, das freut mich. Das ist eine gute Nachricht.»
«Ja», sagte Jocelyn. Er stand immer noch unter dem Eindruck, daß May sich reichlich backfischhaft benommen hatte.
«Warten Sie, ich hole Ihnen einen Sherry.»
«Danke, das wäre herrlich!» Mein Gott, wie müde er war. «Bitte,
essen Sie doch schon - ich geh nur noch schnell rauf und sage Gaylord gute Nacht.»
Das Omelett war köstlich gewesen, und ebenso das knusprig frische Brot und der Stilton. Sie hatten nur wenig gesprochen - Wendy sah ihm an, wie müde er war und daß er Probleme im Kopf wälzte. Aber als sie beim Kaffee saßen, sagte sie: «Ich habe mich gefreut, daß Sie Julia bei sich aufgenommen haben. Wohnt ihr Vater jetzt auch hier im Haus?»
«Nein, er möchte wohl lieber im Verwalterhaus bleiben.»
«Na, wir werden ihn ja hier gelegentlich zu sehen bekommen. Ich möchte ihn mir noch einmal vorknöpfen.»
Bei der Vorstellung, daß ein so zartes kleines Ding sich Duncan Mackintosh vorknöpfen wollte, mußte Jocelyn lächeln.
«Wußten Sie, daß seine Frau Ballettänzerin war?» fuhr Wendy fort. «Er will absolut nicht, daß Julia Ballettunterricht nimmt. Es wird dem Kind das Herz brechen. Aber ich werde ihn noch mal gründlich bearbeiten.»
Er betrachtete das kleine energische Gesicht, und wieder mußte er lächeln. Im Geist sah er vor sich, wie sie Duncan Mackintosh, diesen Granitblock, bearbeitete. Und doch: er hatte Granitkiesel gesehen, die vom Meer glatt und rund geschliffen worden waren. Allerdings hatte das Meer dazu ein paar hundert Millionen Jahre gebraucht.
«Warum lächeln Sie?» fragte Wendy.
«Ach, nur aus Mitgefühl für Duncan Mackintosh. Sie wissen doch, Männer halten zusammen. Aber Scherz beiseite, Miss Thompson, ich wünsche Ihnen viel Glück und Erfolg.»
«Danke.» Und dann stellte sie ihm die Frage, die sie seit seiner Rückkehr hatte stellen wollen. «Haben Sie Ihrer Frau gesagt, daß ich hier bin?»
«Ja. Sie ist Ihnen sehr dankbar.»
Wendy schwieg. Es hatte nicht so ganz überzeugend geklungen. «Ich freue mich, daß es ihr schon besser geht», sagte sie.
So ging ihre erste Mahlzeit zu Ende. Und auch die Unterhaltung verebbte allmählich. Es war ganz still im Haus, als sie endlich aufstanden und einander eine gute Nacht wünschten.
Nur Wendy Thompson hörte das Knattern der Motorräder unten auf der Straße am Fluß. Sie zog sich wohlig die Decke noch ein wenig höher. Sie brauchte sich nicht zu ängstigen, es waren ja Männer im Haus. Hier drohte ihr keine Gefahr. Sie lag zufrieden da und dachte an Gaylord und Julia und den reizenden Mr. Pentecost und war bald wieder eingeschlafen.
Nur Schultz hörte die leisen Schritte im Hof. Spielgefährten! Freudig begann er zu bellen. Die Schritte kamen näher. Jetzt wurde der Riegel an der Gittertür zurückgeschoben. Selig sprang Schultz dem neuen Freund entgegen...
Keiner bemerkte das Schweigen, als Schultz plötzlich nicht mehr bellte. Auch Gaylord nicht. Gaylord schlief friedlich, denn Mummi war nicht mehr bewußtlos und würde bald wieder nach Hause kommen. Und bis dahin würde seine liebe Miss Thompson für ihn sorgen. Und Miss Mackintosh, die Ziege, dampfte morgen früh mit dem Sechs-Uhr-Zug nach Schottland ab. Gott sei Dank!
17
Wendy Thompson war gerade dabei, das Frühstück vorzubereiten, als plötzlich Miss
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