Lieber Frühling komm doch bald
Pentecost zu seinem Platz und sprach ein paar Worte zur Begrüßung, währenddessen Jocelyn seine Manuskriptblätter aus der Aktentasche zog und aufmerksam die Zuhörer musterte. Suchte er jemanden? Sie hoffte es und versuchte trotzdem, sich hinter Mrs. Carter, die vor ihr saß, zu verstecken.
Jocelyn erhob sich zu seiner Lesung, und nun konnte sie sich nicht länger verbergen - und wollte es auch nicht, denn er hatte sie sofort entdeckt und lächelte ihr zu. Es war das sanfte, freundliche Lächeln, das sie so gut kannte. Und gleich als die Kaffeepause begann, entschuldigte er sich bei der Vorsitzenden und kam zu Wendy und setzte sich zu ihr. «Miss Thompson - ich hatte so gehofft, Sie hier zu sehen.»
«Um nichts hätte ich Ihre Lesung versäumen wollen», sagte sie. «Und es war wunderschön.»
«Ich danke Ihnen. Und wie geht es Ihnen?»
«Sehr gut. Und wie geht es Ihrer Frau?»
«Ausgezeichnet. Sie hatte keinerlei Rückfall.»
«Und was machen die Kinder? Hat Gaylord die schreckliche Sache mit dem Hund überwunden?»
«Er hat immer noch Alpträume. Aber Sie kennen ihn ja. Er erzählt einem nur soviel, wie er meint, daß man verkraften kann.» Dann verstummten sie. Wendy spürte, wie das vertraute, schöne und schmerzliche Gefühl sie wieder durchflutete. Ihr Blick hielt ihn fest; sie versuchte, ihrem Gedächtnis sein Bild für alle Zeiten einzuprägen. Dann sagte sie: «Sie und Ihre Frau haben mir so schöne Blumen geschickt - ich habe mich sehr darüber gefreut, wirklich. Und Ihr Vater - wußten Sie das? - hat mir eine große Schachtel Pralinen gesandt.»
«Ach, das ist doch alles nicht der Rede wert. Aber noch etwas, Miss Thompson -»
«Ja?»
«Am zwanzigsten heiraten meine Tante Dorothea und der Franzose. Wir würden Ihnen so sehr gern eine Einladung schicken, wenn - wenn Sie Lust haben zu kommen.»
Sie erschrak. «Nein... ich glaube nicht - ich hatte nämlich gerade daran gedacht, um die Zeit ein paar Tage Ferien zu machen...»
«Aber wir würden uns alle so freuen, wenn Sie kämen.» Hatte er wirklich das «alle» ein wenig betont? «May sagt, sie hätte sich überhaupt noch nicht richtig bei Ihnen bedankt.»
«Ach, das geht doch nicht. Eine Hochzeit ist ein Familienfest.»
«Aber Sie sind eine Freundin der ganzen Familie, Miss Thompson. Die Einladung bekommen Sie, und glauben Sie mir: Wir wären traurig und enttäuscht, wenn Sie nicht kämen.» Er stand auf, lächelte ihr zu und ging an seinen Platz zurück.
Der Frühling kündigte sich mit Stürmen und lauen Regengüssen an. Büsche und Bäume hatten plötzlich grüne Knospen, der Fluß strömte nicht mehr bleigrau, sondern silbern dahin, die Vögel zwitscherten wieder, und die Luft roch nach neuem Leben. Wozu das alles? fragte sich Jocelyn. Für die Tiere, für Vögel und Bienen, für tragende Schafe und Kühe war der Frühling eine Routinesache. Nur der Mensch, der törichte Mensch, sah und verstand, was da geschah - und jedes Jahr jubelte er dem Wiedererwachen der Erde zu, die er doch gleichzeitig mit wahrer Besessenheit in eine Hölle verwandelte.
Auch Derek Bates und seine Freunde erwachten aus ihrem Winterschlaf. Sie trimmten ihre Motorräder und brachten sie auf Hochglanz, kauften neues Zubehör, neue Kinkerlitzchen, versammelten sich an Straßenecken, unterhielten sich lautstark, um das Geknatter zu übertönen, und schossen einzeln oder zu zweit davon, um eine Runde zu drehen und durch die Kurven zu jagen. Nur Dereks Motorrad blitzte und glänzte nicht in der Sonne wie die der anderen. Nur Dereks Motorrad setzte schon Rost an. Der Rost, ja, das ganze Motorrad erinnerte ihn ständig an seine Demütigung. Sein Vater hatte sich geweigert, ihm ein neues zu kaufen. Ohnmächtiger Groll erfüllte Derek.
An einem der ersten schönen Tage sagte Miss Thompson nach langem Überlegen: «Schau mal, Julia. Der französische Herr, der im Winter bei Mr. Pentecost war, möchte dir das hier schenken.» Und sie gab ihr die Ballettschuhe.
Julia strahlte.
«Sie sind natürlich nicht zum Tragen. Aber er meinte, sie würden dir vielleicht Freude machen. Lange bevor du auf die Welt kamst, hat ein Mädchen im Bolschoi-Ballett sie getragen. Wer weiß - vielleicht hat er sie einmal geliebt.»
Julia starrte immer noch wie verzaubert auf die Schuhe. Hatte sie überhaupt zugehört? «Kann ich ihm schreiben und mich bei ihm bedanken?» fragte das Kind schließlich.
«Natürlich, ja. Ich habe seine Adresse.»
Am nächsten Tag stand Duncan
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