Lieber Frühling komm doch bald
aufgestanden. Er wollte sie trösten. Aber sie tastete sich hastig zur Tür, und als er sie an der Schulter faßte, entzog sie sich ihm. «Aber Wendy, was ist denn? Sagen Sie es mir doch, ich möchte Ihnen helfen -»
«Sie-können-mir-nicht helfen», sagte sie schluchzend. «Niemand - kann mir helfen.» Sie lief hinauf in ihr Zimmer, das Papier mit der Karte und die Schuhe der Tänzerin fest an sich gedrückt.
In dieser Nacht lief Gaylord im Traum mit Schultz über die Sommerwiesen. Wild und ausgelassen sprangen sie umher. Aber plötzlich war Schultz nicht mehr da - da war nur noch etwas unter einer nassen grauen Decke, und als Gaylord die Decke wegzog, starrten ihn Mummis tote Augen an. Wendy Thompson hörte seinen Aufschrei, sprang aus ihrem Bett, riß die Tür auf und sah gerade noch, wie Jocelyn ins Zimmer seines Sohnes lief. Sie zwang sich umzukehren und legte sich wieder hin. Voll trauriger Gedanken schlief sie schließlich wieder ein.
Auch der alte John Pentecost war aufgewacht. Er wußte nicht, wovon. Er setzte sich in seinem Bett auf und schielte nach der Thermosflasche mit Tee und dem Teller mit den Keksen, die er auf Elspeths Drängen (und weil Jocelyn diesmal nicht dabeigewesen war) mit in sein Zimmer genommen hatte. Er goß sich Tee ein und aß einen Keks. Dann legte er sich zufrieden in die Kissen zurück und schlief, ohne aufzuwachen, bis zum Morgen durch.
Derek Bates und seine Freunde schlichen um das Haus herum. In Dereks Tasche steckte eine Benzinbombe, die sie gemeinsam gebastelt hatten. Sie waren guter Laune. Im «Prince of Wales» hatten sie sich Mut angetrunken. Sie wollten irgendwelchen Unsinn anstellen. Zum Beispiel den Hühnerstall anzünden. Aber während sie noch nach dem Stall suchten, wurde Derek vom vielen Bier plötzlich übel. Er übergab sich und beschmutzte dabei seine schwarze Lederjacke. Er verlor jedes Interesse an dem Vorhaben. Sie warfen die Benzinbombe in einen Heuschober, wo sie nicht explodierte, und machten sich auf den Heimweg.
May hatte irgendwo einmal gelesen, daß einem Gefangenen sein früheres Leben in der Freiheit wie ein Wunder, wie ein schöner Traum erscheint. Ihr ging es im Krankenhaus ähnlich. In dieser Nacht lag sie wach und dachte immer wieder: Morgen bin ich zu Hause. Morgen wird alles wieder so wie früher sein... Und die fabelhafte Miss Thompson, der ich natürlich unendlich dankbar bin, ist wieder weit weg in Ingerby.
Am nächsten Morgen holte Jocelyn Pentecost seine Frau aus dem Krankenhaus. Gegen Mittag verabschiedete sich Miss Thompson. Schweren Herzens fuhr sie in ihrem Mini die Straße am Fluß entlang. Die überaus liebenswürdigen Dankesworte von Mrs. Pentecost klangen ihr noch in den Ohren. Jocelyn hatte sie ans Auto gebracht, und sie hatte ihm angemerkt, wie eilig er es hatte, zu seiner Frau zurückzukommen. Daß Gaylord zum Abschied nicht erschienen war, machte den Kummer noch größer. Wendy gab sich Mühe, all dies mit den vernünftigen Augen des Erwachsenen zu betrachten und sich auf die Straße zu konzentrieren. Hier - das war die Stelle, wo damals der gräßliche Motorradfahrer erschienen war. Und jetzt sah sie eine kleine Gestalt, die winkend angelaufen kam.
Sie schämte sich fast, wie sie sich freute. «Gaylord! Wie schön - ich dachte schon —» Sie griff über den Nebensitz hinweg nach der Tür und öffnete sie ihm. Keuchend kletterte er herein.
«Miss Thompson, ich finde das gar nicht schön, daß Sie wegfahren.»
«Aber du hast doch jetzt deine Mummi wieder. Das ist doch die Hauptsache!»
«Ja, aber...» sagte er. «Aber wissen Sie, manchmal findet Mummi alles ganz anders als ich.» Er zeigte auf den Fluß. «Da unten, da habe ich Schultz gefunden. Im Wasser.»
«Hör zu, mein Kleiner», sagte sie eindringlich, «du solltest lieber nicht allein hier unten am Fluß herumlaufen.»
Er schwieg eine Weile. Dann sagte er nachdenklich: «Ich wünschte, Sie würden Mr. Mackintosh heiraten. Dann wären Sie Julias Mutter und könnten im Verwalterhaus wohnen, und Miss Mackintosh würde wieder nach Schottland fahren. Ich würde Sie auch ganz oft besuchen.»
«Das wäre schön. Es ist nur ein Haken dabei.»
«Ja, ich weiß. Sie möchten Mr. Mackintosh nicht heiraten. Das habe ich Mummi und Paps auch gesagt.»
«Gaylord! Du hast doch darüber nicht mit deiner Mutter gesprochen?»
«Doch, sozusagen. Ich hab aber gesagt, Sie würden lieber Paps heiraten.» Er lehnte sich zufrieden zurück. «Aber das geht ja
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