Lieber Frühling komm doch bald
einen Brief. «Ein Dankbrief von Edouard Bouverie. Und das Päckchen soll ich der kleinen Lehrerin geben - er weiß die Adresse nicht.»
«Wie aufregend.»
«Ja.» Sie befühlte das Päckchen. «Kann alles sein.» Sie gab es Jocelyn. «Wenn du nicht rauskriegst, was drin ist, werde ich dir das nie verzeihen!»
«Ich kann ja nicht gut neben ihr stehenbleiben, wenn sie es aufmacht.»
«Wie du es machst, ist mir egal... Also ich muß schon sagen, es ist wirklich erstaunlich, wie alle Männer der Kleinen aus der Hand fressen, sogar Gaylord.»
Gaylord lief rot an. Sein Vater legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: «Gaylord hat schon Pläne gemacht für Miss Thompson, i nicht wahr, mein Kleiner?»
May sah ihren Sohn neugierig an. Er sagte: «Ich dachte, es wäre nett, wenn sie Julias Mutter werden könnte. Aber dazu muß sie Mr. Mackintosh heiraten, und ich glaube, das will sie nicht so gern. Ich glaube -» Er verstummte.
«Du glaubst was, mein Schatz?»
«Ach, nichts», sagte er leichthin, aber er wußte, daß im gleichen Augenblick Mummi bestimmt nicht ruhen würde, bis sie erfahren hatte, was er hatte sagen wollen.
Jocelyn wurde immer leicht unruhig, wenn die Rede auf Miss
Thompson kam. Jetzt sah er zu seiner Erleichterung die Schwester mit der Glocke grimmig in der Tür erscheinen. «Ja, dann müssen wir wohl gehen», sagte er munter.
«Was glaubst du, Gaylord?» fragte Mummi.
«Ich glaube, sie würde lieber Paps heiraten.»
Klaang! schepperte die Glocke.
«Aber das kann sie ja schließlich nicht, weil Paps doch schon verheiratet ist», fuhr Gaylord mit unfehlbarer Logik fort. «Das geht also nicht.»
«Die Schwester wirft mir schon böse Blicke zu», sagte Jocelyn nervös.
«Da ist sie nicht die einzige», sagte May freundlich. «Gaylord, warum glaubst du, daß Miss Thompson gern Paps heiraten möchte?»
Jocelyn fuhr seinem Sohn mit der Hand durchs Haar. «Komm jetzt, du alter Ehestifter.»
« Warum, Gaylord?» Mummi kannte kein Erbarmen.
«Weil sie ihn immer so anguckt.»
«Aha», sagte May. Sie gab beiden etwas abwesend einen Kuß zum Abschied. Groß war die Versuchung, schon heute das Krankenhaus zu verlassen, und zwar auf der Stelle. Sie fühlte sich auch durchaus dazu imstande. Aber sie überwand die Versuchung. Jocelyn kam sonst womöglich auf den Gedanken, sie sei eifersüchtig.
«Eine gute Nachricht», sagte Jocelyn Pentecost zu Miss Thompson. «May kommt morgen nach Hause. Sie haben nichts gefunden.»
«Oh, Mr. Pentecost, das freut mich aber.» Wendy Thompson sah ihn mit einem freundlichen Lächeln an. Sie freute sich - für ihn. Nicht für sich selbst, denn morgen war alles aus: das Familienleben, die Sorge und Verantwortung für die Kinder, die stille Gegenwart des Mannes, der sie jetzt so glücklich über den Abendbrottisch hinweg ansah. Morgen kehrte seine Frau in sein Leben zurück, und er würde kaum merken, daß sie, Wendy, nicht mehr da war.
«Ich weiß gar nicht, wie wir Ihnen danken sollen. Es war so nett von Ihnen, daß Sie uns geholfen haben», sagte Jocelyn Pentecost.
Sie hatte Mühe, ihre Stimme natürlich klingen zu lassen. «Sie wissen nicht, was für ein Geschenk diese Tage für mich waren - wie schön es für mich gewesen ist, in einer Familie zu leben.»
«Aber Wendy - wir haben Ihnen zu danken.»
Die Tränen traten ihr in die Augen, als er sie beim Vornamen nannte.
«Ach ja», fuhr er fort, «ich habe ja noch etwas für Sie. Hier - ein kleines Päckchen. Das schickt Ihnen Dorotheas Franzose - der Zukünftige meiner Tante. Er wußte Ihre Adresse nicht, deshalb hat er es an uns geschickt.»
Erstaunt nahm sie das Päckchen und dreht es hin und her. «Das ist wirklich für mich? Wir haben doch kaum ein paar Worte miteinander gesprochen.»
«Doch, doch, es ist für Sie.»
«Komisch... Soll ich es aufmachen?»
«Na, sicher.» Es würde ihm schlecht ergehen, wenn sie es nicht öffnete, dachte er.
Sie wickelte eine kleine Schachtel aus dem Papier. Und in der Schachtel waren Ballettschuhe - alt, abgetragen. Auf einer Karte stand: «Für Sie oder für Ihre Schülerin, das möchte ich Ihnen überlassen. Die Schuhe gehörten einem Mädchen, das vor vielen Jahren im Bolschoi-Ballett tanzte. Alles Gute für den guten Kampf! E. St.-M. B.»
Es war zuviel, es war überwältigend. Sie war schon ganz aufgewühlt, und nun diese Freundlichkeit! Sie konnte die Tränen nicht mehr unterdrücken. «Bitte, verzeihen Sie, ich-»
«Aber was ist denn?» Jocelyn war
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