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Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Titel: Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Schloesser
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will.
    Die Premiere war mittelmäßig. Freundlich ja, aber nicht überwältigend. Konnte es auch gar nicht mehr sein, jetzt, wo Du auf der Welt warst. Der Autor war immerhin glücklich. Ich war einfach erschöpft und bin vor Mitternacht ins Bett gegangen.
    Am Tag unserer Abfahrt zeigte mir Anna noch etwas Unheimliches. Wir hatten uns die ganze Zeit gewundert, warum unsere Vermieterin, eine Ärztin, die unter uns wohnte, immer so niedergeschlagen wirkte. Sie hatte uns erzählt, ihr Mann sei vor einem Jahr verstorben. Als mir Anna den Strick im Stromkasten zeigte, war mir alles klar.
    Nichts wie weg hier. Zurück zum wahren Leben. Zurück zu Matz!
    Gerade mal zwei Wochen hatte ich mit Euch. Dann musste ich weiter zur nächsten Station, nach Frankfurt. Dabei hätte ich rund um die Uhr an Deiner Wiege stehen können. Frankfurt ist auf eine ganz eigene Art und Weise sonderbar. Dein Opa hat in der Nähe gewohnt. In Sulzbach. Gearbeitet hat er aber in der Stadt. Frankfurt ist das Zentrum der deutschen sowie der europäischen Geldwirtschaft. Jede große Bank hat sich einen Wolkenkratzer gebaut. Opa Richard hat im Westend-Tower gearbeitet, im dritthöchsten Turm. Vor der Tür steht eine riesige Krawatten-Skulptur von Claes Oldenburg. Inverted collar and tie . Die fand ich damals, als ich ungefähr so alt war wie Du jetzt und Richard das erste Mal in Frankfurt besucht habe, wahnsinnig lustig. In der ganzen Stadt wimmelt es nur so von Anzugträgern mit Schlips. Wie bei Momo . Die grauen Männer, die einem die Zeit stehlen. Aber hier mit dem Unterschied, dass sie sich bunte Krawatten umbinden. Da trägt jeder etwas anderes. Punkte, Streifen oder Mickymäuse. Der vermeintlich einzige Platz für Einzigartigkeit. Die Krawatte von Oldenburg ist hell und dunkelgrau gestreift und steht auf dem Kopf. Ihre Enden scheinen frech in der Luft zu flattern. Oldenburg hat immer sehr große Skulpturen von Alltagsgegenständen angefertigt und dann in den öffentlichen Raum gestellt. Ich habe mich schon damals gefragt, wie die Skulptur wohl den Bankern gefällt. Ob sie sich nicht jeden Morgen beim Betreten der Bank auf den Arm genommen fühlen. Damals habe ich Richard angeguckt und beschlossen, dass Banker mehr Humor haben müssen, als man ihnen zutraut.
    Nun aber wieder zurück zu meiner Theaterarbeit in Frankfurt. Ich bin äußerst gut gelaunt dorthin gefahren. Die Vorgespräche mit der Intendantin und der Dramaturgin waren sehr nett. Ich bekam eine hübsche kleine Dachgeschosswohnung in Sachsenhausen, ganz in der Nähe des Theaters. Früher wohnten vor allem arme Leute in solchen Wohnungen. Ich konnte mir keine schönere Unterbringung vorstellen. Zu meiner Unterstützung und gegen das Heimweh hatte ich Hannes mitgebracht. Hannes ist Musiker und hat mit mir am Schauspielhaus gearbeitet. Außerdem wusste er wie ich, gutes Essen und guten Wein zu schätzen. Ich fühlte mich stolz und voller Liebe und war zuversichtlich, dass sich meine gute Stimmung schon irgendwie auf die Schauspieler übertragen würde. Das hat dann aber leider nicht so gut geklappt. Ganz im Gegenteil.
    Es ging damit los, dass all meine Schauspieler direkt aus einer Romeo und Julia -Inszenierung kamen und sich dort schon gegenseitig auf den Wecker gegangen sind. Und so saß ich auf der sogenannten Leseprobe einem Bollwerk der Bocklosigkeit gegenüber. Die Stimmung war total angespannt und gipfelte darin, dass der Hauptdarsteller noch am selben Abend ausstieg. Seine Kollegen waren ihm einfach zu doof. Wie recht er damit hatte, habe ich dann schmerzlich am eigenen Leib erfahren. Tag für Tag.
    Das Stück hieß La Strada und stammt von einem berühmten italienischen Filmregisseur. Darin geht es um einen Grobian, der sein Geld damit verdient, auf Jahrmärkten oder im Zirkus Ketten zu sprengen. Allerdings sind die Ketten präpariert. Wie alle Gauner hält er sich nicht lange irgendwo auf, damit man ihm nicht auf die Schliche kommt. Er lebt mehr oder weniger auf der Straße und zieht mit seinem Planwagen von Ort zu Ort. Eines Tages trifft er ein junges Mädchen, Gelsomina, dessen Mutter so arm ist, dass sie bereit ist, die Tochter an den Schausteller zu verkaufen. Für Gelsomina ein Alptraum, denn der Grobian behandelt sie furchtbar schlecht. Für die Rolle des Mädchens hatte ich eine ganz tolle Schauspielerin ausgewählt. Aber das Theater fand keinen, der den Fiesling, den Zampano, spielen wollte. Kennst Du den Ausdruck? Man sagt das zu einem Angeber. Nun mach hier mal nicht den

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