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Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Titel: Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Schloesser
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deshalb in der Mitte der Bühne. Auf der Drehbühne. Es behindert aber die Schauspieler mehr, als dass es ihnen nützt. Mir fällt dazu einfach keine Lösung ein, die der Schnelligkeit des Stückes entspricht. Im Film macht man einfach einen Schnitt. Das ist im Theater alles viel aufwendiger.
    Zwei Tage vor der Premiere steigt der Schauspieler aus, der mich so zur Verzweiflung getrieben hat. Ich nehme jeglichen Restmut zusammen und beichte meinem Bühnenbildner, dass es nur ohne das sperrige Zimmerkarussell geht. Er hat es die ganze Zeit geahnt und hasst mich aufrichtig dafür. Dem Stück schenkt dieser viel zu späte Anflug von Ehrlichkeit jedoch den Raum und die Freiheit, die es braucht. Mittlerweile ist das ganze Haus alarmiert und hilft. Ich habe mich innerlich abgegeben. Selbst der Intendant und der Dramaturg inszenieren die letzten Tage mit und sagen mir, was ich tun soll. Ich bin für ihre Hilfe dankbar, obwohl ich praktisch über kein Selbstwertgefühl mehr verfüge. Die Aufführung wird komischerweise gar kein Reinfall. Die Leute sind begeistert. Der Jubel gehört aber nicht mir. Ich kann ihn nicht annehmen.
    Das Einzige, was ich in dieser Zeit noch annehmen konnte, warst Du. Acht Monate warst Du damals alt, und ich wäre am liebsten einfach nur zu Hause geblieben. Mit Dir und Mami. Aber es ging nicht. Ich wollte weiter mein eigenes Geld verdienen. Denn das hatte mich doch so stolz gemacht. Unabhängigkeit von den Eltern, die lange geholfen haben. Immer wieder. Dass ich meine kleine Familie ernähren kann, war mir unheimlich wichtig. Dafür wollte ich kämpfen. Wenn nötig, auch gegen mich selbst. Mein Ausfall bei der letzten Inszenierung tat mir leid. Aber rückgängig machen konnte ich ihn nicht mehr. Wollte ich eigentlich auch nicht. Alles ist für etwas gut. Selbst wenn man das erst viel später erkennt.
    Ich hoffe, dass diese Zeilen eines Tages für etwas gut sind. Dass sie Dich vielleicht vor etwas schützen.
    Bis dahin bin ich an Deiner Seite.

ich habe schlecht geschlafen. Gestern Abend habe ich noch lange über das nachdenken müssen, was ich Dir geschrieben habe. Dabei ist mir etwas aufgefallen. Ich habe geschrieben, dass ich nichts bereue. Aber das stimmt nicht. Im Gegenteil. Ich bereue zutiefst, dass ich Sein oder Nichtsein überhaupt gemacht beziehungsweise, dass ich mich nicht gewissenhafter darauf vorbereitet habe. Ich schäme mich für meine Naivität. Die Demütigungen, die ich dadurch erfahren habe, möchte ich am liebsten ungeschehen machen. Es tut immer noch wahnsinnig weh. Ich hätte es einfach nicht machen sollen. Genau wie La Strada . Es hat von Anfang an nicht gestimmt.
    Aber das lässt sich hinterher leicht sagen. Ich weiß es doch auch nicht. Man kann sich nicht immer auf seine Intuition, auf seine Eingebungen verlassen. Habe ich aber. Immer. Hat ja auch oft gestimmt. Ich wünsche Dir in dieser Beziehung mehr Glück und Geschick. Das klingt wie ein Abschiedsbrief, soll es aber nicht. Es ist nur so, dass ich schrecklich wankelmütig bin. Ich kann es nicht abstellen, das liegt an dieser bescheuerten Meise. Hin und her flattert die. Zu Tode betrübt. Und zack, im nächsten Moment wieder ganz obenauf.
    So war das nach der alptraumartigen Erfahrung mit Sein oder Nichtsein auch. Kurz nach der Premiere musste ich mit Sonya nach Mainz zu einer Bauprobe. Lange vor der Premiere trifft man sich auf der Bühne, um mit den Technikern die verschiedenen Entwürfe für das Bühnenbild durchzusprechen. Bühnenbild-als-ob sozusagen. Das macht man, um zu sehen, ob sich die Ideen umsetzen lassen und wo es noch hakt. Danach bekommen dann die Werkstätten den Auftrag, das Bühnenbild anzufertigen.
    Das Stück hieß Halb & Halb . Es ist eines für nur zwei Schauspieler. Wie erholsam. Darin geht es um zwei Brüder. Vor langer Zeit ist die Mutter der beiden gestorben. Seitdem sitzt der Jüngere in der Küche und löst Kreuzworträtsel, der Ältere hat sein Glück in der Fremde gesucht. Zu Beginn des Stückes kehrt er heim. Es wird geschwiegen und dann sehr viel gesprochen. Aber vor allem beginnen die beiden, die Küche zu bepflanzen. Sie erschaffen sich nach und nach eine Art Garten Eden, ihr eigenes Paradies, in dem alle Nöte und Sorgen der Vergangenheit begraben werden. Am Ende werden die beiden selbst Teil des Gartens, gehen in ihm auf, verschwinden. Das hat mir am besten gefallen: dass sie sich die Natur ins Haus holen und dann von ihr verschlucken lassen. Die Bühnenbildnerin musste bei diesem Stück

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