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Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Titel: Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Schloesser
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ist eine Ehre und ein großes Glück, wenn man Hausregisseur wird, weil das bedeutet, dass man mindestens zwei Stücke im Jahr an einem Theater machen kann. Diese Arbeiten hat man schon mal sicher, und man kann auch gut andere Intendanten zum Angucken einladen. Außerdem kann man sich mit den Schauspielern besser vertraut machen. Man kennt sich dann schon und muss sich nicht immer wieder neu erklären und vorstellen. Ich fand das eigentlich sehr schön, aber irgendetwas war faul. Die drei anderen Hausregisseure wussten zum Beispiel schon sehr lange im Voraus, welche Stücke sie machen sollten. Von mir hatten sie sich erst mal nur ein Kinderstück gewünscht. Das hat mich auch schon beleidigt. Warum, wirst Du jetzt fragen. Ist doch toll. Stimmt. Aber ich wusste ja längst, dass ich so etwas kann. Ein Kinderstück machen. Aber nein. Ein Stück für Erwachsene auf der großen Bühne. Ich wollte mir beweisen, dass ich das genauso gut kann. Gerade nach den Schwierigkeiten mit Sein oder Nichtsein . Weil ich bis zum Beginn der Arbeit in Essen noch so viel Zeit hatte und der Leitung dort nicht so richtig vertraute beziehungsweise nicht darauf warten wollte, dass sie mir noch weitere Stücke vorschlagen, habe ich mir selbst ein Stück ausgesucht. Ein norwegisches. Es heißt Wenn wir Toten erwachen und ist das letzte Stück von Henrik Ibsen, dem größten Theaterautor Norwegens. Danach hat er bis zu seinem Tod nichts mehr geschrieben und auch kaum noch gesprochen. Es ist also in gewisser Hinsicht so etwas wie sein Vermächtnis, auch weil darin in konzentrierter Form all die Themen auftauchen, die in seinen übrigen Stücken eine wichtige Rolle spielen. Es wird nur selten aufgeführt, und das hat wahrscheinlich seinen Grund. Mich hat es jedenfalls nicht abgehalten. Es gibt nur vier Rollen. Perfekt. Schnell habe ich eine Besetzung gefunden, und die Gewissheit, endlich wieder arbeiten zu können, verlieh mir Auftrieb. Die beiden Männer kannte ich aus Hamburg, die beiden Frauen waren Kolleginnen von Ulf. Roland, der mir schon zu meiner ersten Hospitanz verholfen hatte, war mittlerweile nach Berlin gezogen und hatte an einem Off-Theater, das sind Theater, die kein Geld von der Stadt bekommen und alles selbst hinkriegen müssen, mit seinen lustigen Abenden für Aufsehen gesorgt. Er konnte sich dort relativ ungestört in Ruhe ausprobieren. Ohne Druck. Oder eher: mit weniger Druck. Im Stadttheater reden von Anfang an viel mehr Leute mit, und dann kommt die Zeitung und bewertet alles, was man tut. Das hat dann wieder Einfluss darauf, wie gern dich die Theaterleitung mag. Das ist in einem Off-Theater anders. Freier.
    Roland stellte jedenfalls den Kontakt her und besorgte den Raum. Die ehemalige Packhalle des Postfuhramtes. Wie alles in Berlin wahnsinnig groß. Und mittendrin. Berlin-Mitte, so hieß dann auch der Stadtteil.
    Ich hatte die Schauspieler, den Ort und den Text. Viel mehr hatte ich mir nicht überlegt. Das Einzige, was ich wusste, war: Ich wollte das Stück mit Hilfe des Berliner Sommers von seiner Schwere befreien. Es geht darin um einen Bildhauer, der mit seiner Frau im Gebirge Urlaub macht. Das Gefühl von Urlaub sollte durch das Theater wehen. Das war mir wichtig. Die Fenster der Packhalle sollten deshalb weit offen stehen. Die milde Abendluft des Monbijouparks hineinwehen. Ulf sollte Klavier spielen, die Mädchen-Lieder von Queen Bee singen. Noch so ’ne Nacht ohne dich. Das alles in einem leeren Raum mit viel Platz für Gedanken. Leicht sollte es sein. Wie in einem französischen Film. Alles in vier Wochen. Vier kurzweilige Wochen in Berlin.
    Schon kurz nach der Ankunft merkte ich, wie sich meine Art zu sprechen veränderte. Ich wurde schneller. Du weißt, dass ich ohnehin nicht langsam rede, aber meine Gedanken sprangen in einem immer höheren Tempo hin und her. Zu allem und jedem hatte ich ein Gefühl und eine erbarmungslose Meinung. Das fanden zunächst alle ganz unterhaltsam und ansteckend, denn lebhaft und lustvoll waren wir alle.
    Bei der ersten Probe, der Leseprobe, ist es dann passiert.
    Ich verliebte mich in Wiebke mit dem ersten Satz, den sie vorlas, und das war wohl der Startschuss. Oder ein weiterer Startschuss. Wie dieses Vitaminpräparat von Omi. Diese kleinen Fläschchen mit der rosa Flüssigkeit.
    Vitasprint. Knopf drücken, schütteln und los!
    Irgendetwas in mir hatte den Knopf gedrückt.
    In wie viele Frauen hast du dich denn noch verliebt, fragst Du Dich jetzt bestimmt. Ich kann es auch nicht

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