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Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Titel: Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Schloesser
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runter. Sonya erscheint, und ich rege mich lauthals auf.
    »So geht das nicht. Und wenn Ihnen das Geld ausgegangen sein sollte. Dann müssen Sie eben schließen. Aber so? Das ist eine Unverschämtheit.«
    »Oh. Gefällt Ihnen etwas nicht?«
    »Gefallen? Sehen Sie sich doch mal um. Das fängt doch schon mit dem Treppenhaus an. Das ist lebensgefährlich. Dann die völlig verdreckten Zimmer. Von dieser Frühstücksruine gar nicht zu sprechen. Sie sind ein Amateur. Geben Sie es zu, Sie haben noch nie ein Hotel geführt.«
    »Nein.«
    »Sehen Sie. Das sieht man. Dann holen Sie sich mal ganz schnell Hilfe. So geht es nicht. Ich brauche übrigens eine Quittung, oder muss ich Ihnen das jetzt auch noch zeigen?«
    Abgang.
    Draußen an der klaren Luft ist es wunderbar. Ich platze vor Stolz. Wie ein Hahn stolziere ich in der dunkelblau schimmernden Bomberjacke umher. Ich bin ein Prinz. Pah. Ein König bin ich. Lauter Untertanen um mich herum.
    Sonya ist ernsthaft erschüttert von meinem Ausbruch. Kein Wunder. Musste sie doch mit der in Tränen aufgelösten Wirtin umgehen.
    Um noch quatschen zu können, bringt sie mich zur Bahnstation Flughafen-Frankfurt. Dort erkundige ich mich auch gleich nach einem Flug nach Hamburg. Bahnfahren scheint mir vollkommen unadäquat.
    Leider ist der Zug schneller, die Realität bremst meinen Größenwahn etwas aus.
    Macht nichts. Ich weiß, wie es sich gehört. Flugzeug. Limousine mit Fahrer. Guten Morgen, Herr Generaldirektor.
    Innerlich fliege ich der Meise hinterher. Willenlos. Stets zu Diensten.
    So war das.

mir tut vom vielen Schreiben der Unterarm weh.
    Gestern Deine Stimme zu hören war unbeschreiblich schön. Deine Freude und das Glück, das Du ausstrahlst, sind mir ein großer Trost. Auch wenn ich mich dafür jedes Mal vor den Stationsapparat in die Telefonecke hocken muss. Halb öffentlich. Wie früher im Schullandheim, bevor es Mobiltelefone gab. Über Deine Geschichte mit dem Bernstein, der Dir in Travemünde einfach so vor die Füße gespült worden ist, musste ich noch lange schmunzeln. Sie hat mich den ganzen Abend vor der Miesepetrigkeit und Traurigkeit dieses Ortes beschützt.
    Leider hält alles nur so kurz an. Bei mir sind es vor allem die Gefühle, die so flüchtig sind wie Gedanken.
    Bei all dem Willen, der Meise zu entfliehen und meine Freiheit zurückzugewinnen, nagen immer stärkere Zweifel an mir. Es ist das Felix-Krull-Gefühl, wie ich es nenne. Es gibt einen Roman von Thomas Mann mit dem Titel Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull . Ich habe ihn in der Schule gelesen, kurz bevor die Meise mich das erste Mal aufgesucht hat. Es geht darin um einen Betrüger. Einen Hochstapler. Jemanden, der übertreibt. Der seine Fähigkeiten in einem helleren Licht erstrahlen lässt. Dass das möglich ist und wie, entdeckt Felix Krull übrigens im Theater. Er schafft es, aufgrund seiner angenehmen Persönlichkeit und seines einnehmenden Wesens immer wieder Dinge zu erreichen, die ihm von Natur aus eigentlich verwehrt sind. Er fühlt sich wie der Götterbote Hermes, der zwischen den Menschen und den Göttern vermittelt. Nun. Das entspricht in weiten Teilen meiner eigenen Selbstwahrnehmung. So habe ich mich zumindest oft gefühlt. Ich traute mir alles zu. War überzeugt davon, dass es für mich keine Grenzen gibt. Dass ich alles erreichen kann. Nur dass ich im Gegensatz zu Krull auch gescheitert bin. Sehr wohl gegen Mauern gerannt bin. Sehr wohl Verletzungen davongetragen habe. In Phasen wie jetzt ist es vor allem anderen mein schlechtes Gewissen, das mich quält. Ich schäme mich für mein Unwissen. Für mein Vortäuschen. Selbst meine Erfolge im Theater erscheinen mir dann unwürdig und ergaunert.
    Ich kann es nur besser machen. Genauso schnell wie die Selbstzweifel auftauchen, sind sie auch wieder verschwunden. Als ich mit Dir und Mami auf dem Land war, hatte ich Zeit, darüber nachzudenken. Meist waren die Gedanken aber nicht klar, sondern trübe und schwammig. Wenn ich glaubte, gerade einen Gedanken festhalten zu können, kegelte der nächste die Erkenntnis schon wieder weg. Hin und her, gefangen zwischen zwei Extremen. Wie sollte es bloß im Theater weitergehen? Angstschweiß. Und im nächsten Moment Siegesgewissheit. Mir kann keiner was! Ich bin hier schließlich der Profi.
    Michael hatte mich ja als Hausregisseur in Essen engagiert. Aber das war noch so lange hin. Ich hatte Angst, in der Zwischenzeit das Inszenieren zu verlernen. Wenn ich es überhaupt je gekonnt hatte. Es

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