Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise
Ich fühle mich eingesperrt, so als hätte sich das große Gefängnis, das in diesem Stadtteil liegt, über alle Straßen gestülpt. Ich will nur noch raus. Außerdem wird die letzte Woche mit den Endproben sehr anstrengend, und dafür brauche ich eine angemessene Atmosphäre. Deshalb nehme ich mir ein Zimmer im Hotel Schweizerhof. Der Kudamm, die alte Prachtstraße Westberlins, ist zum Greifen nah. Hier scheint mir alles strahlend, aufgeräumt und bekannt.
Im Hotel gehe ich sofort in den Wellnessbereich mit den Pools und den ganzen Saunen. Wiebke wartet schon auf mich – mit meinen neuen Schwimmshorts habe ich einen glänzenden Auftritt. Solche Hosen trug man in den fünfziger Jahren. Und jetzt wieder. Mit enganliegendem Bein, dunkelblau, mit einer kleinen Tasche für die Chipkarte des Hotelzimmers. Großartig. Die adäquateste Badehose, die ich je besessen habe. Wiebke und ich sehen aus wie ein Schauspielerpaar aus den Anfängen des Farbfilms.
Ich lasse einen Termin bei der Fußpflege für uns machen. Das brauche ich jetzt. Ich habe in den letzten drei Wochen zwei Paar Schuhe kaputtgelaufen. Kreuz und quer durch die ganze Stadt. Gigantische Strecken. Berlin ist riesig, und ich wollte nicht mit der U-Bahn fahren. Ich hatte genug Energie und mir auch eingebildet, die Stadt so besser kennenzulernen. Außerdem fand ich U-Bahn-Fahren grundsätzlich völlig unangemessen. Die Fußpflegerin hat Humor und ist aufrichtig angetan von uns. Natürlich erkennt sie, dass wir etwas Besonderes sind. Sie wird später zur Premiere kommen, genau wie der Verkäufer aus dem Lafayette, einem sehr großen Kaufhaus, bei dem ich ein Sakko gekauft habe. Auch er ein Profi. Man erkennt sich. Man versteht sich.
Ich hatte die großartige Idee, die Präsidentensuite des Hotels zu mieten. Also das größte und teuerste Zimmer des Hauses. Gott sei Dank ist Wiebke kein Spielverderber, sie besteht aber darauf, die Kosten zu teilen. Na, wenn sie meint.
Es geht mir gar nicht darum, in dieser Suite zu schlafen, sondern um die Form. Um die Möglichkeit. Wo man doch schon mal da ist. Die Suite ist frei, und ein Mann von der Rezeption zeigt uns alles. Neben der beeindruckenden Stereoanlage und der eingebauten Sauna beschäftigt mich lediglich der Umstand, dass in der Küche eine grüne Kaffeemaschine von Jacobs Krönung aus Plastik steht, die in ihrer Schäbigkeit nicht zu übertreffen ist. Sieht aus wie ein Werbegeschenk. Oder wie direkt aus einem Campingwagen. Amateurhaft. Das geht doch nicht! Ich bin empört.
Ein kleiner Flügel steht vor der Wohnzimmerscheibe, dahinter ein Wahnsinnsblick über Berlin. Ulf muss unbedingt eine Nacht hier schlafen, wo er doch den ganzen Abend über im Theaterstück Klavier spielt.
Doch nun schnell wieder raus hier. Ab ins KaDeWe, ins Kaufhaus des Westens. Da ich überzeugt bin, dass die Premiere ein Erfolg wird, brauche ich natürlich ein adäquates Kostüm. Klassisch. Zeitlos. Ich werde schnell fündig. Der freundliche Herr bei Armani bietet mir an, die Hose ändern zu lassen. Sie zwickt etwas. Wissend lehne ich ab. Nein, der Anzug hat recht. Ich bin noch zu dick. Das kommt vom Saufen. Ich lasse den Anzug, so wie er ist, auf meine Suite schicken und erwerbe noch schnell ein rotes Hemd. Jacques Britt. Auch zeitlos. Zurück mit der Fahrradrikscha. Weißt Du noch, wie wir mit so einem Ding mal um die Alster gefahren sind? Der Fahrer hatte diese tolle Hupe, mit der Du immer die Passanten erschreckt hast. Wir haben uns schlappgelacht. Leider hat mein Fahrer in Berlin keine lustige Hupe. Bisschen zu bescheiden. Ich glaube, der will tatsächlich sein ganzes Leben lang Rikschafahren. Habe ich auch mal gemacht, in Hamburg. Habe ich Dir das eigentlich erzählt? Bestimmt. Mann, war ich fit in dem Sommer. Richtig schlank. Ist schon länger her.
Vom Hotel direkt mit dem Taxi ins Theater, das ja leider sehr unpassend »Theaterdiscounter« heißt. Den furchtbaren Namen hat sich ausgerechnet Roland ausgedacht. Theaterdiscounter. Grauenhaft. Das sollte wohl darauf verweisen, dass hier auch Menschen mit wenig Geld Kultur genießen können. Stattdessen merkt man ganz schnell, dass hier in erster Linie Menschen mit wenig Geld Theater machen. Diese verhinderten Halbtagskünstler, die Frank dort um sich geschart hat, hausen im Erdgeschoss. Dabei könnte man das riesige Gebäude, das ehemalige Postfuhramt, von dem ich Dir in einem anderen Brief schon erzählt habe, zu einem adäquaten Theater machen. Mitten im Bezirk Mitte. Ja, genau.
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