Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise
Französin fährt mich wohlklimatisiert zu Johann, ohne ein Wort darüber zu verlieren, dass ich immer noch stinke wie ein Penner. Ich weiß genau, wo er wohnt, dabei war ich erst einmal bei ihm. Er hat ein wunderschönes dreistöckiges Haus in einem Hinterhof in der Nähe der Hackeschen Höfe. Sein Assistent öffnet mir. Ich versuche, mich zusammenzunehmen, aber als ich Johann gegenüberstehe, drängt alles unkontrolliert aus mir heraus. Ich schimpfe über den Zustand des deutschen Theaters und darüber, dass ich dieser unerträglichen Situation ausgeliefert bin. Alles Amateure, Nichtskönner. Johann ist entsetzt und bietet mir ratlos ein Glas Wasser an. Er versteht nicht wirklich, warum ich gekommen bin.
»Eine Einladung? Ja. Gut. Und wo ist das?«
»Monbijoustraße.«
»Aber Theaterdiscounter? Was ist denn das?«
Klar, dass der den nicht kennt. Der hat sein ganzes Leben lang noch nicht an einem Off-Theater arbeiten müssen.
Während ich in sein fragendes Gesicht sehe, erahne ich für eine Millisekunde die Dimension meines verzweifelten Auftritts. Was mache ich auch hier?
Der Junge sollte erst mal etwas studieren, hat Frisch angeblich mal gesagt. Er hat recht, denke ich für einen Augenblick. Ich habe kein Fundament. Ich habe keine Weisheit. Kein Konzept. Ich muss immer alles aus mir heraus schöpfen. Mich immer wieder erklären. Wie soll das gehen? Oft geht es ja auch gar nicht, weil die Schauspieler sich nicht darauf einlassen wollen. »Wo kommt der eigentlich her, der Schnösel?« Entsetzen und Kopfschütteln über meine Konzeptlosigkeit.
Ich bin schlagartig erschöpft und rette mich mit einem Taxi in mein Hotel.
Frühstück. Ich habe seit gefühlten achtundvierzig Stunden nichts gegessen, und oben in der Suite schläft Ulf. Den will ich so früh nicht wecken, der soll ja die Premiere spielen. Nachher. Es ist noch so unerträglich viel Zeit bis dahin.
Mit großer Geste befehle ich dem Servicepersonal, einen Vierertisch von den eingedeckten Tellern und der Tischdekoration zu befreien.
Wieder diese ratlosen Gesichter. Ich könnte zuschlagen. Die sind alle so dumm, dass es weh tut. Wenigstens räumen sie das Zeug schließlich vom Tisch. Langsam und sichtlich irritiert, aber immerhin.
»Kaffee oder Tee, der Herr?«
»Beides!«
Der Herr! Dass die meinen Namen noch nicht kennen. Schließlich wohne ich in der Präsidentensuite! Habe ich doch gerade gesagt, oder? SCHLÖSSER ! Amateure, wohin man sieht. Ich bilde das gesamte Buffet auf meinem Vierertisch ab und esse alles auf! Danach fühle ich mich voller Kraft und gar nicht schwer, als sei das Essen verpufft. Hochleistungsmotor.
Ich beschließe, die Zeit bis zum Abend im Wellnessbereich zu überbrücken. Mit leichter Lektüre, versteht sich. Hochglanzmagazine. Das ist jetzt genau das Richtige. Am Tresen, an dem ich zunächst mein Handgepäck abgebe, erwartet mich die Ausgeburt an amateurhaftem Aushilfstatbestand. Ein armer Tropf in Uniform, der vermutlich seinen ersten Arbeitstag hat. Der Presseständer ist so wenig gefüllt wie zu Zeiten der DDR , wo es kaum etwas gab in den Läden.
»Entschuldigen Sie, junger Mann, mein Name ist Schlösser, und ich bewohne die Präsidentensuite. Finden Sie, dass das ein adäquater Presseständer ist?«
»Wie meinen Sie das? Was brauchen Sie denn?«
»Was ich brauche? Mann . Süddeutsche. FAZ . brand eins. Monopol. New York Times. Vogue. Wallpaper . Jetzt aber mal zack, zack. Oder glauben Sie, ich nehme eine Neue Post mit in den Wellnessbereich?« Das ist so eine billige, dünne Zeitung, in der nur ausgedachte Geschichten über Könige und Prinzessinnen stehen und solche, die sich dafür halten. Das Papier ist schon so dünn, damit kann man sich nicht einmal den Hintern abwischen.
Der junge Mann flieht mit angstverzerrter Miene in ein Hinterzimmer. Toll. Selbst so einer hat einen Rückzugsraum. Kann doch alles nicht wahr sein. Ich blättere neunhundert Euro hin und bin immer noch ungeschützt, und so eine kleine Schranze biegt kurz um die Ecke und ist weg. Ohne abzuwarten, stapfe ich in den Wellnessbereich. Dort angekommen und in Windeseile in die Badehose gepellt, begegnet mir das nächste Unglück. Statt der netten, umsichtigen Dame von neulich steht nun ein komisches Etwas vor mir. Mann? Frau? Fragend jedenfalls.
»Sie wünschen?«
Was kann ich schon wollen.
»Bademantel und Handtücher?«
Richtig.
Ich nehme den Bademantel entgegen, sehe erst ihn ungläubig und dann das Etwas fordernd an.
»Stimmt etwas
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