Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise
ansieht. Die erste hat er ja verpasst, weil er mit mir im Park geblieben ist. Anschließend will er mich nach Hamburg bringen, zurück zu Ada.
Am nächsten Mittag fahren wir gemeinsam an einen der Seen rund um Berlin. Irene besitzt dort ein Wassergrundstück mit einer renovierungsbedürftigen Herberge, in der zu Zeiten der DDR ein exquisites »Spielzimmer« für Politiker untergebracht war. Ihre Sekretärin oder Putzfrau oder Mädchen für alles hat pinkfarbene Luftmatratzen eingepackt. Wir rauchen, trinken Wasser und gehen mit den Luftmatratzen schwimmen. Kourosh und ich müssen immer wieder lachen. Es ist wie eine skurrile Kinderlandverschickung. Im Krieg wurden die Kinder aus den Großstädten aufs Land gebracht. Wegen der Bomben. Wir sitzen hier nun am See – als suchten wir Schutz vor der Meise. Auf pinken Luftmatratzen. Umgeben von wahnsinnigen Jagdhunden. Über allem thront Irene. Ihre Peitsche schwingend wie Madame Medusa in Bernhard und Bianca . Die braucht sie auch, denn die Hunde sind so viele Eindringlinge nicht gewöhnt.
Am Abend geht Kourosh in die zweite Vorstellung. Die Luft hat sich etwas abgekühlt. Ich warte vor der Tür und schlendere durch den Monbijoupark. Ich nehme Abschied von Berlin und von der Vorstellung, hier Intendant werden zu können. Ein Sommermärchen. Hoffentlich. Vielleicht.
Am Spätnachmittag habe ich mit Hans-Peter noch den Manager des Hotels Schweizerhof getroffen. Ein äußerst netter und verständnisvoller Schwabe, der beim nächsten Mal einfach vorher wissen möchte, dass er einen Theater-oder Filmmenschen zu Gast hat. Das sei ja etwas ganz anderes. Sehr professionell. Versteht sich. Den Bademantel darf ich sogar behalten. Passt sonst eh keinem.
Nach der Vorstellung rede ich kaum etwas. Die anderen scheint das zu beruhigen. Ich bin in Gewahrsam. Eingefangen. Aber das liegt vor allem an meiner Unsicherheit im Umgang mit Wiebke. Ich bin ganz schüchtern für einen Moment und weiß einfach nicht, wie ich mich adäquat von ihr verabschieden soll.
Irgendetwas hält mich noch in der Stadt, denke ich, und schon verpassen wir den Zug, weil wir zum falschen Bahnhof gefahren sind. Mir ist das ganz recht. Das Wiedersehen mit Ada flößt mir Angst ein.
Also verlängern wir noch eine Nacht.
Noch einmal.
Adieu, Berlin.
In Hamburg sagt man Tschüss.
es geht immer noch weiter.
Später Nachmittag. Wir sitzen im Zug in der zweiten Klasse an einem kleinen Tischchen, und Kourosh bestellt Bier. Ich mag nichts trinken. Darf nichts trinken. Muss nüchtern bleiben. Ich muss Deiner Mutter in die Augen sehen. Ich habe Ada unendlich verletzt, das wird mir immer klarer. Das erste Mal seit Wochen denke ich ernsthaft und mitfühlend darüber nach, wie es Ada geht. Gehen muss nach den letzten Wochen mit anstrengender Arbeit und immer neuen Hiobsbotschaften.
In Hamburg angekommen, spaziere ich vom Hauptbahnhof Richtung Jungfernstieg. Wir haben uns vor einem Touristenlokal verabredet.
Sie ist dünn geworden.
Ich kann durch ihren Blick mich selbst betrachten und schon nicht mehr unterscheiden, ob sie mir wirklich leidtut oder ob ich nicht viel stärker von meinem eigenen Leid fasziniert bin. Dieser Gedanke ekelt mich an, und aus Scham versuche ich mir mein schlechtes Gewissen von der Seele zu reden und beteuere Ada immer wieder meine Liebe. Heiraten, durchfährt es mich nicht zum ersten Mal. Wir müssen heiraten. Das ist es. Das wird mich schützen. Der Ring wird mich beschützen. Alles wird gut. Es fehlt die richtige Form. Alles ist eine Sache der Form. Klar.
Mami erzählt mir von einem Freund, der auch eine Meise hatte, und davon, wie er sie einfangen konnte.
»Du musst dir helfen lassen. Das ist kein Spaß. Das bist nicht mehr du.«
Ja, ja. Ich werde mich kümmern. Ist doch klar. Ich muss erst mal runterkommen. Erholen. Nach St. Peter-Ording. Mit Matz. Ich will meinen Sohn sehen. Ich will ihm mein St. Peter zeigen. Meinen Rückzugsort.
Bevor es losgehen kann, muss ich mich jedoch dringend technisch aufrüsten. Der Bildschirm meines Laptops ist kaputt. Warum, weiß ich nicht mehr. Muss im Theaterdiscounter passiert sein. Ada braucht auch einen neuen Computer. Deshalb muss ich unbedingt noch die nette Frau von der Bank becircen. Die Bank soll mir Geld leihen, bis ich in Essen einen Vorschuss auf meine Gage bekomme. Ich brauche einfach mehr Geld. Mehr Mittel. Wo ich so ein Profikäufer geworden bin. Ich konnte immer schon gut Geld ausgeben, aber jetzt ziehen mich die schönen Dinge einfach
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