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Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Titel: Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Schloesser
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verkaufe sehr gut, vor allem an eine ältere Kundin, die ich sofort als meine Sekretärin engagieren möchte. Sekretärin des Intendanten. »Wie wäre das? Klingt doch gut, oder?« Sie lacht verschämt wie ein kleines Mädchen. Da sie gerade ihren Job verloren hat, freut sie sich über meine Komplimente. Zwischendurch mache ich auf der hölzernen Bank vor dem Laden eine Pause. Vom Eigentlichen. Vom Warten auf die Vorstellung. Dem Beginn der Premiere. Vom eigenen Wahnsinn.
    Die Mädchen bringen mir abwechselnd immer neue Gegenstände nach draußen, die ich wirkungsbewusst bespiele. Requisiten. Seifenblasen, gelbe Papierbögen und Wasser in allen zur Verfügung stehenden Zuständen und Gefäßen. Kaltes Wasser, warmes Wasser, Eiswürfel. Sie haben sich vollkommen auf das Spiel mit mir eingelassen. Ich habe den Bademantel längst abgelegt, denn es ist viel zu heiß. Ich komme mir unglaublich attraktiv vor und posiere in meiner blauen Badehose. Genüsslich lasse ich Eiswürfel auf meiner Brust zerschmelzen. Ein VW -Bus fährt vorbei, und ein Punker spuckt vor mir aus. »Bääh. Scheiß Mitte-Snobs.« Ich bin die fleischgewordene Gentrifizierung. So nennt man das, wenn auf einmal reiche Leute in einen eher ärmlichen Stadtteil ziehen und die alten Bewohner rausdrängen. Dann steigen die Mieten, alles wird schick und teuer, und die Armen müssen wegziehen. »Fahr mal ganz schnell zurück nach Kreuzberg«, antworte ich genüsslich und fühle mich wie die Wiedergeburt von Falco. Männer des Westens sind so, Männer des Westens sind so, Männer des Westens sind so, sind so, sind so restlos intercool! Das ist dieser österreichische Sänger mit zurückgegeltem Haar. Ein Megasnob! Meine erste selbstgekaufte Musikkassette war von ihm. Da war ich so alt wie Du jetzt.
    Die Mädchen haben sich gerade eine neue tolle Beschäftigung für mich überlegt, als ein Streifenwagen mit einiger Geschwindigkeit auf das Geschäft zuhält. Wie im Fernsehen. Es sind diesmal zwei Beamte, die für mich zuständig sind und mich ausgesprochen höflich bitten mitzukommen. Die Mädchen sind entsetzt, sie möchten sich noch für mich einsetzen, aber alles geht viel zu schnell. »Kommt doch nachher zur Premiere!« Ich winke noch aus dem Polizeiwagen und muss mich innerlich über all das totlachen. Gibt es doch gar nicht. Unglaublich. Dabei finde ich mich aber ganz normal. Verrückt sind die anderen.
    Es geht in die Charité, das größte Krankenhaus in Berlin, und ich erfahre, dass die Polizisten vom Hotel beauftragt worden sind. In meiner Tasche haben sie lauter Einladungen für die Vorstellung gefunden und den Zettel mit meiner neuen Adresse. Ausgesprochen nett finde ich, dass die Polizisten meine Kuriertasche dabeihaben, mit all den Dingen, die ich ganz dringend für die Vorstellung benötige. Beim Off-Theater muss man ja alles selbst machen.
    Im Foyer der Charité wartet Kistner auf mich, ein ehemaliger Kollege aus dem Schauspielhaus. Bei ihm habe ich in der Vorbereitungszeit ein Wochenende lang gewohnt. Er ist kalkweiß und fast panisch. Ich finde das unangemessen und gebe mich amüsiert. Ist doch gar nichts passiert. Alles nur, weil dieses amateurhafte Theater nicht offen war. Keiner da, keiner erreichbar. In ein richtiges Staatstheater kann man rund um die Uhr. Da sitzt immer einer am Bühneneingang. Ein richtiger Pförtner. Und hier? Ausgerechnet in Berlin wird man gleich obdachlos, nur weil man seinen Schlüssel verloren hat. Der eigene Anteil an dem Schlamassel bleibt mir bis auf weiteres verborgen.
    Der Gang der psychiatrischen Notaufnahme ist endlos lang und die wahre Wiedergeburt der Hölle. Alle Zimmertüren stehen weit offen. Die Ärzte tragen weiße, die Pfleger blaue Kostüme. Ganz am Ende steht ein Tisch mit einem Stuhl. Auf den soll ich mich setzen.
    »Hier, Herr Schlösser. Sie müssen viel trinken.«
    »O ja. Ich mache den ganzen Tag schon nichts anderes.«
    Während sich einer der Polizisten auf die Suche nach dem zuständigen Arzt macht, bleibt der jüngere bei mir. Er wirkt interessiert, also erzähle ich ihm von der bevorstehenden Premiere und von dem, was heute schon alles passiert ist. An manchen Stellen kann er sich ein Grinsen nicht verkneifen. Aber jetzt kommt’s. Sein Kollege steuert in Begleitung einer Frau auf uns zu. Sie ist ungemein dick und hat ihr blondes Haar tölpelhaft und unregelmäßig mit roter Hennafarbe gefärbt. Sie trägt ein blaues Kostüm mit einem selbstgebastelten Namensschild. Ich breche in

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