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Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise

Titel: Lieber Matz, Dein Papa hat ne Meise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Schloesser
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mit blutendem Handgelenk im Flur und stottere ein »Bitte kommt!« ins Telefon. Peer und Jan bringen mich ins Krankenhaus. Ich werde genäht, dann darf ich gehen. Weil ich gleich zwei sorgende Freunde dabeihabe? Oder haben sie gar nicht erst den Versuch unternommen, mich dazubehalten?
    Peer bleibt die Nacht über mit mir in der Wohnung. Um das Handgelenk trage ich einen breiten Verband. Ein weißes Zeichen meines Versagens. Für jeden sichtbar. Die Familie denkt, es läge an den Drogen.
    Ich bin damals nicht im Krankenhaus geblieben.
    Ich habe damals nicht mit einem Psychiater gesprochen.
    Ich schwimme weiter.
    Bis zur nächsten Welle.
    Die Meise nistet sich ein.
    Macht es sich in meinem Kopf gemütlich.
    Gerade sind ihr etwas die Flügel gestutzt worden.
    Die Medikamente haben sie angebunden, und ich werde langsam wieder Herr meiner Sinne.
    Ich umarme dich.

heute hat mich Onkel Hans-Peter besucht. Ich weiß, dass Du ein wenig Angst vor ihm hast, weil er immer so laut ist und Sachen sagt, die ein Kind nicht verstehen kann. Aber laut ist er bloß, weil er früher in einer Druckerei gearbeitet hat. Wie Dein Opa übrigens auch. Opa Heinz war Schriftsetzer und hat dafür gesorgt, dass das aufs Papier gedruckt wird, was sich die Reporter ausgedacht haben. Hans-Peter war zuständig für die Farbe. Die Druckerschwärze. Und dafür, dass sie gut hält auf dem Papier. Er musste aufpassen, dass nichts verwischt und dass man alles gut lesen kann. Einmal hat er mich in eine Druckerei mitgenommen. Die riesigen Walzen, über die die Papierbögen laufen, machen einen unglaublichen Krach, wie hundert Müllautos auf einmal! Normalerweise müssen die Leute, die dort arbeiten, Ohrenschützer tragen. Aber Hans-Peter musste ja mit den Menschen an den Walzen reden, um ihnen zu erklären, was sie anders einstellen müssen. Deshalb ist er meistens ohne Ohrenschützer in der Druckerei unterwegs gewesen. Heute hört er so schlecht, dass er alles ganz laut stellen muss. Den Fernseher, das Radio, das Telefon. Alles.
    Hans-Peter ist ein kluger Mann. Er versteht besonders gut, wie es sich anfühlt, wenn man anders ist, denn er war auch immer anders. Er sah schon bei der Geburt anders aus. Nicht wie ein Norddeutscher, sondern eher wie einer aus dem Balkan. Ganz schwarze Haare hat er gehabt. Sein Vater war davon gar nicht begeistert. Wegen seiner Schilddrüsenprobleme vertrug er das Reizklima an der Nordsee nicht und musste auf ein Internat an der Schlei gehen. Ich vermute, dass er sich von zu Hause vertrieben gefühlt hat. Später ist er dann freiwillig noch weiter weggegangen. Erst nach Berlin und schließlich nach Chicago, wo er drei Kinder bekommen hat. Sammy und Anthony kennst Du schon. Der Älteste, George, das habe ich Dir ja schon mehrfach erzählt, hat die gleiche Meise wie ich. Hans-Peter nun ist schließlich ohne seine Kinder wieder nach Deutschland gezogen. In die Nähe von Hamburg. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon ein bisschen älter als Du jetzt.
    Jedenfalls war mein Onkel fortan immer für mich da. Das war toll für mich. Wenn man größer und langsam erwachsen wird, dann kommt irgendwann der Moment, wo man glaubt, dass die eigenen Eltern einen überhaupt nicht mehr verstehen. Vielleicht hast Du ja jetzt auch schon ab und zu das Gefühl, dass wir Dir zu wenig zutrauen und Dich einschränken. Das ist normal. Aber als Eltern sind wir nun mal für Dich verantwortlich. Das steht auch immer auf Baustellen am Zaun: »Eltern haften für ihre Kinder.« Eltern müssen darauf achten, dass ihren Kindern nichts passiert. Und weil Eltern sich aber auch daran erinnern, was sie selbst früher alles angestellt haben, wird aus dem »Darauf-Achten« schnell ein Anketten. So empfinden es die Kinder zumindest. Bei mir war das ganz sicher so. Heute weiß ich natürlich, dass es als Eltern gar nicht so leicht ist, das richtige Maß zu finden. Das wird immer schwieriger, je älter die Kinder werden. Du wirst sehen. Hoffentlich kriegen wir das zusammen hin. Wenn nicht, dann wünsche ich mir sehr, dass Du auch noch andere erwachsene Ansprechpartner hast. Onkel Peer zum Beispiel. Ich bin mir sicher, dass er Dir immer ein kluger und verständnisvoller Zuhörer sein wird. So, wie es seine Mutter auch schon für mich war. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr, mit Omi Frauke zu sprechen. Ging auch gar nicht mehr. Wir haben uns sofort gestritten und waren hinterher beide gekränkt. Ich habe sie dann gar nicht mehr um Rat gefragt. Aber zum Glück hatte ich

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