Lieber Onkel Ömer
…«
|108| Aber jetzt fangen ihre Sätze so an:
»Damals in Istanbul, noch bevor ich mein Medizinstudium beendet hatte …«, oder:
»Als ich mit meinem Prof. an einem lauen Frühlingsabend am Bosporus spazieren ging …«, oder:
»Osman, du Faulpelz, keine Müdigkeit vorschützen! Ich musste damals in Istanbul in den Semesterferien auch immer hart arbeiten!«
Lieber Onkel Ömer, ich weiß nicht, womit ich das verdient habe?
Sag Du es mir, damit ich endlich wieder ruhig schlafen kann! Gute Nacht!
Hochzeitssaison
Mein lieber Onkel Ömer,
wie geht es Dir, und wie geht es meiner lieben Tante Ülkü? Wie geht’s der hübschen Kuh Pembe, wie geht’s der schwarz gepunkteten
Ziege Fatima, wie geht’s Deinem störrischen Esel Tarzan, und wie geht’s unserem guten alten Dorfvorsteher Hüsnü?
Lieber Onkel Ömer, Du weißt besser als ich, wie fröhlich und enthusiastisch in der Türkei die Hochzeits- und Beschneidungsfeste
gefeiert werden. Du selbst bist doch das beste Beispiel. Jedes Mal kletterst Du sofort auf den Brauttisch, fängst mit Deinem
berühmten Bauchtanz an und kommst nicht wieder runter, bevor der Bräutigam Dir nicht einen nagelneuen 100-Lira-Schein auf
die Stirn geklebt hat.
Hinsichtlich dieser Feste unterscheiden wir uns sehr von den Deutschen. Hier in Alamanya laufen solche Feiern fast unter Ausschluss
der Öffentlichkeit und sehr diskret ab. Kein Mensch kommt auf die Idee, zu seiner Hochzeit tausend Leute einzuladen, und erst
recht führt hier niemand vor den Augen von Tausenden wildfremden Menschen einen ekstatischen Bauchtanz auf dem Tisch des Brautpaares
vor.
Wenn ein Mann in Deutschland überhaupt seine Hochzeit |110| feierlich begeht, dann lädt er dazu ganz wenige Leute ein, höchstens die Braut und, wenn’s hoch kommt, noch die Schwiegereltern.
Wenn er seine Beschneidung feiert, dann nicht mal die. Vielleicht nicht mal sich selber! Viele Deutsche lassen sich nämlich
überhaupt nicht beschneiden! Und heiraten tun sie noch weniger. Aber welche Frau möchte schon einen unbeschnittenen Mann heiraten?
Und falls einige deutsche Männer es doch noch tun wollen, heiraten meine ich, dann fahren sie nicht mit der gesamten Sippschaft
zum Brautvater, um ihn offiziell um die Hand seiner Tochter zu bitten. Die armen Onkels und Tanten erfahren nämlich überhaupt
nichts davon! Ja, nicht mal die eigenen Eltern! Einige wenige schon, aber meistens viel später, wenn sie zur Scheidungsparty
eingeladen werden.
Lieber Onkel Ömer, Alamanya steckt in einem sehr großen Dilemma, wie Du siehst. Die deutschen Männer lassen sich nicht beschneiden,
deshalb will sie keine Frau heiraten, und dadurch werden auch keine Kinder geboren, die beschnitten werden können. Ein Teufelskreis!
Deutschland stirbt dadurch regelrecht aus!
Und was passiert immer, wenn die Deutschen sich auf einem Gebiet als unfähig oder als unwillig erweisen? Wir Ausländer müssen
ran! Wir müssen die ganze schwere Arbeit übernehmen! Wir müssen ständig Kinder machen, wir müssen uns beschneiden lassen,
wir müssen heiraten, und das Schlimmste ist, wir müssen diese ganzen Hochzeits und Beschneidungsfeste von diesen Ausländern
auch noch alle persönlich besuchen! Nicht mit leeren Händen natürlich! Bei uns auf dem Wohnzimmertisch stapeln sich bereits |111| massenweise Einladungskarten für all diese Feste und auf der Kommode passend dazu die ganzen hübsch verpackten Geschenke.
Alle unsere Wochenenden im Juni und Juli sind seit Wochen ausgebucht. An einigen Tagen müssen wir sogar doppelt und dreifach
ran.
Die türkischen Hochzeiten finden hier immer kurz vor den Sommerferien statt, damit man in der Heimat die neue Braut, den neuen
Wagen oder den gestutzten Pimmel stolz der ganzen Verwandtschaft vorführen kann. Aber es wird natürlich erst dann in Alamanya
geheiratet, wenn die Familie für den Sohn ein Mädchen in Deutschland finden kann, das aus der gleichen Gegend der Türkei stammt
wie er selber. Wenn man aber eine Braut oder einen Bräutigam aus der Türkei importieren muss, dann findet die Hochzeit logischerweise
einen Monat später während des Urlaubs in Anatolien statt.
Aber es gibt noch einen weiteren Grund für diese Ballung von Sommerhochzeiten in Deutschland, und das ist die unmögliche Lage
der meisten türkischen Hochzeitssäle hier. Das sind alles riesige Hallen, die abgebrühte türkische Geschäftemacher aus pleitegegangenen
Lagerräumen irgendwo im
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