Lieber Onkel Ömer
Industriegebiet zu sogenannten Ivent-Lokäischins umfunktioniert haben. Die Dinger stehen in der Pampa,
und so was wie Wege, Straßen und Bürgersteige gibt es da nicht. Im Winter bleiben die sämtlichen türkischen Damen mit ihren
feinen Stöckelschuhen und die ganzen frisch polierten Mercedes-Limousinen im Schlamm stecken.
Die armen Eltern! So ein Hochzeitsfest macht natürlich wahnsinnig viel Arbeit und kostet unheimlich viel Geld |112| und Nerven, selbst ohne den lästigen Schlamm an den Schuhen.
Andererseits freuen sich die Eltern aber auch sehr darüber, denn in türkischen Familien starten ja normalerweise bereits einen
Tag nach der Geburt des Kindes sofort die Hochzeitsvorbereitungen.
Die ganzen Jahre über wird Mitgift herangeschafft und die Einladungsliste durchgearbeitet, und es wird verzweifelt gegrübelt
und gestritten, wen man von den Bekannten, Freunden, Nachbarn und Verwandten einladen sollte und wen nicht. Diese Listen werden
ständig aktualisiert und ergänzt. Die im Laufe der Jahre in Ungnade gefallenen Bekannten werden aussortiert, und neue Auserwählte
schaffen den Sprung auf die Liste. Wenn die Eltern mal überhaupt keinen Grund mehr zum Streiten finden, dann kramen sie halt
sofort die Einladungsliste für die Hochzeit ihres Sohnes in sechzehn Jahren aus der Schublade. Deshalb kommt es öfter mal
vor, dass eben wegen dieser Listen viele Eltern bei der Trauung ihres Kindes bereits geschiedene Leute sind.
Da die Deutschen ja nicht heiraten, brauchen sie auch niemanden zur Hochzeit einzuladen, und dadurch entfällt auch die hochexplosive
Gästeliste. Ein sehr risikoscheues Volk, diese Deutschen, wie wir wissen!
Lieber Onkel Ömer, Du fragst Dich bestimmt die ganze Zeit, wie um Allahs willen ich es geschafft habe, ein so großer und international
anerkannter Hochzeitsexperte zu werden. Nach all den Jahren kann ich Dir jetzt endlich den wahren Grund verraten, den ich
die ganze Zeit geheim halten musste. Jetzt, wo unser geliebter Opa leider nicht |113| mehr unter uns weilt, kann ich mit der ganzen Wahrheit rausrücken.
Du kannst Dich doch bestimmt noch daran erinnern, wie mein ältester Sohn Recep vor vier Jahren geheiratet hat.
Die Familie des Mädchens war streng religiös und ist es immer noch. Aber nicht dass Du denkst, die Familie besteht aus fanatischen
Moslems. Nein! Die Familie des Mädchens besteht aus fanatischen Katholiken. Meine Schwiegertochter heißt Helga und kommt aus
Ostfriesland. Wenn der Vater von Helga in ein fremdes Land fliegt, dann küsst er bei der Ankunft sofort den Boden. Nein, nein,
jetzt denkst Du wieder was Falsches! Helga ist nicht die Tochter vom Papst, obwohl ihr Vater genauso viel in Urlaub fährt
wie der.
Ich fasse also alles noch mal kurz zusammen: Recep wollte vor vier Jahren ein Mädchen aus Ostfriesland heiraten. Die Unglückliche
heißt Helga, aber sie ist nicht die Tochter vom Papst, obwohl ihr Vater kirchlich anerkannter Bodenküsser ist.
Ich hatte im Prinzip eigentlich nichts dagegen, dass mein Sohn eine Christin heiraten wollte. Religion, Rasse und Nationalität
spielen ja bei einem gebildeten Menschen wie mir selbstverständlich überhaupt keine Rolle. Ich bin der geborene Weltmann.
Ich lege keinen Wert auf Äußerlichkeiten bei meinen Mitmenschen. Hauptsache, sie haben genug Geld.
Herr Schulz, der Vater von Helga, hatte auch nichts dagegen, dass seine Tochter meinen Sohn Recep heiratet. Auch bei ihm spielten
Religion, Nationalität und Rasse logischerweise keine Rolle. Sein einziger Wunsch war, dass mein Sohn Recep auf der Stelle
Christ wird, seinen türkischen |114| Namen gegen einen germanischen tauscht und sich seinen Schnurrbart gelb färbt! Wenn es weiter nichts ist, das war doch alles
überhaupt kein Problem.
Herr und Frau Schulz waren ganz schön verwirrt, als ich damals mit allen meinen dreiundvierzig Kumpels in insgesamt zwölf
frisch gewaschenen Ford-Transits zu denen nach Emden gefahren bin, um ordnungsgemäß um die Hand meiner Schwiegertochter Helga
anzuhalten. Es könnte auch sein, dass sie es etwas ungewöhnlich fanden, dass der zukünftige Bräutigam bei dieser Invasion
nicht mit dabei war. Mein Ältester war sehr aufgeregt, hat die ganze Zeit unglaublich stark gezittert, so, als hätte er einen
Malariaanfall, und wollte lieber in der Pommesbude um die Ecke eine Bratwurst verdrücken und auf unsere hoffentlich gute Nachricht
warten. Am Ende wurden einundzwanzig Bratwürste
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