Lieber Onkel Ömer
mal den Film kurz stoppen?«, meinte Petra in dem Moment mit verknoteten Beinen. »Ich muss mal dringend aufs Klo!«
»Genehmigt, Viertelstunde Toilettenpause!«, rief ich laut in die Runde.
Diese Viertelstunde nutzte jeder auf seine Art. Die Frauen gingen aufs Klo oder besorgten sich neue Taschentücher, Hans und
ich gingen in die Küche und holten uns noch mehr »Gebratene Frauenschenkel« oder bluttriefende »Albaner Leber«.
Als alle Filme angeguckt, der ganze Tee ausgetrunken, alle Augen verheult und alle Taschentücher triefnass waren, mussten
unsere deutschen Gäste leider aufstehen, um nach Hause zu gehen.
Der Abschied war selbstverständlich noch dramatischer |170| als die Begrüßung, weil wir alle durch die türkischen Spielfilme emotional total aufgeladen waren.
»Hans, bitte verlass uns nicht«, flehte ich meinen Nachbarn an, mit Tränen in den Augen.
»Osman, wir kommen ja wieder, wir wohnen doch bloß um die Ecke«, sagte er, während er sich an meiner Schulter hemmungslos
ausweinte.
Aber das Schicksal ließ sich natürlich nicht aufhalten: Hans und Petra waren ernsthaft dabei, unser Heim zu verlassen.
Vor der Haustür kehrte Hans noch mal um und flüsterte mir zärtlich ins Ohr:
»Mein lieber Osman, nächste Woche kommt ihr aber als deutsche Gäste zu uns, abgemacht? Fatma meint, wir haben auch schon lange
keine deutschen Gäste mehr gehabt.«
Ich schaute ihm ganz tief in die Augen und flüsterte in sein Ohr:
»Ist in Ordnung, Halil, wir kommen nächste Woche. Dann spielen wir die deutschen Gäste!«
Lieber Onkel Ömer, außer Dir würde ich diese Geschichte niemandem erzählen. Behalt es bitte nur für Dich! Die Labertasche
Erkek Fatma und der Petzer Nedim dürfen es niemals erfahren, dass Halil und ich uns gegenseitig als deutsche Gäste besuchen,
um Selbsttherapie zu betreiben.
Ich küsse Dir, Tante Ülkü und allen Älteren in unserem schönen Dorf ganz herzlich mit großem Respekt die erfahrenen Hände
und allen Jüngeren mit viel Liebe die hübschen, unschuldigen Augen.
|171| Eminanim und die Kinder grüßen Euch selbstverständlich auch und küssen den Älteren mit viel Respekt die Hände und den Jüngeren
mit viel Liebe die Augen.
Pass gut auf Dich auf, bleib gesund, iss genug Knoblauch und danke fünfmal am Tag Allah, dass Du im Dorf von niemandem mit
Urlaubsdias traktiert wirst, das grenzt nämlich an Körperverletzung. Erst recht, wenn eingedeutschte Türken deutsche Gäste
türken!
Dein Dich über alles liebender Neffe aus dem warmen, aber stickigen Alamanya
PS: Lieber Onkel Ömer, nach unseren getürkten deutschen Gästen wurden wir dann überraschend von echten Deutschen heimgesucht:
Zwei Beamte kamen und haben sich sehr lange mit Frau Ümmüyanim unterhalten. Eminanim hat übersetzt, aber ich durfte nicht
dabei sein. Ümmüyanim war danach sehr durcheinander und ziemlich aufgeregt.
»Was ist denn los?«, fragte ich meine Frau.
»Das Gesundheitsministerium erkennt Ümmüyanims Ärztediplom nicht an«, sagte sie verärgert.
Ich war völlig perplex!
»Wie? Will sie jetzt etwa für immer hierbleiben, oder was?«, stotterte ich. »In dem Fall gehe ich freiwillig in die Türkei
zurück!«
Aus Hatices Zimmer war ein sehr leises Schluchzen zu hören. »Weint Ümmüyanim etwa?«, fragte ich besorgt.
»Was würdest du denn machen, wenn du jahrelang Tag und |172| Nacht umsonst geschuftet hättest«, beendete sie abrupt unsere Diskussion.
Lieber Onkel Ömer, ich glaube, ich will doch nicht Medizin studieren. Ich bin aus dem Alter raus, nachts noch büffeln zu können.
Nachts schlafe ich lieber, wenn ich kann. Mach Du das auch. Gute Nacht!
Fußballsaison
Mein lieber Onkel Ömer,
wie geht es Dir, und wie geht es meiner lieben Tante Ülkü? Wie geht’s der hübschen Kuh Pembe, wie geht’s der schwarz gepunkteten
Ziege Fatima, wie geht’s Deinem störrischen Esel Tarzan, und wie geht’s unserem guten alten Dorfvorsteher Hüsnü?
Lieber Onkel Ömer, über Fußball brauche ich einem Fachmann wie Dir ja nichts zu erzählen! In der Türkei wird wohl über kein
Thema mehr diskutiert als über Fußball. Ob die eigene Mannschaft diese Woche gut gespielt hat, wie sie letzte Woche gespielt
hat und wie sie vorletzte Woche gespielt hat und wie sie am Ende der Saison spielen wird, wenn die Scheiß-Versager-Millionäre
weiterhin so einen Mist produzieren!
Ob der Trainer ausgewechselt werden sollte oder doch nur die
Weitere Kostenlose Bücher