Lieber Onkel Ömer
Äußersten!
»Osman, welchen deiner Freunde meinst du denn?«, sagte sie etwas abfällig.
»Na, meine Kumpels eben. Hans, Hasan, Ahmet, Nedim«, zählte ich sie stolz alle auf.
»Ist einer von den Parasiten etwa Arzt?«, fragte sie unverschämt.
»Arzt vielleicht nicht, aber ganz hervorragende Staplerfahrer und Lackierer sind darunter. Ich persönlich brauche auch |160| keinen Arzt mehr, allein in unserer Wohnung gibt es schon zwei, und das ist mehr als ausreichend«, rief ich ironisch. Ich
glaube, das saß!
Sie hat sich nämlich daraufhin ganz schön aufgeregt und hysterisch gekreischt:
»Osman, jeder Mensch, der vor all meinen Freundinnen glaubhaft versichert, mit mir zusammen Medizin studiert zu haben, darf
hier so lange wohnen, wie er will!«
Lieber Onkel Ömer, ich hab’s mir überlegt: Morgen höre ich in Halle 4 auf und werde versuchen, irgendwie Medizin zu studieren,
sonst wird meine Frau mich mit Sicherheit vor die Tür setzen.
Mein vielleicht letzter Gute-Nacht-Gruß von hier. Schlaf gut!
Erzählsaison
Mein lieber Onkel Ömer,
wie geht es Dir, und wie geht es meiner lieben Tante Ülkü? Wie geht’s der hübschen Kuh Pembe, wie geht’s der schwarz gepunkteten
Ziege Fatima, wie geht’s Deinem störrischen Esel Tarzan, und wie geht’s unserem guten alten Dorfvorsteher Hüsnü?
Lieber Onkel Ömer, was Urlaub und somit was eine Urlaubssaison ist, das weißt Du ja jetzt, das habe ich Dir schon letztes
Mal geschrieben, und Du hast mich auch schon oft genug beim Gurkenernten beobachtet. Aber Du weißt nicht, wie das Ende von
so einer Urlaubssaison in Alamanya aussieht. Am Ende der anstrengenden Urlaubssaison startet nämlich die noch viel anstrengendere
Erzählsaison!
Mit den ganzen Schikanen, die ich während der angeblich »schönsten Zeit des Jahres« erleben muss, hört mein Leiden leider
immer noch nicht auf. Danach geht’s erst richtig los! Kaum bin ich nämlich nach dem Urlaub völlig erschöpft wieder zu Hause,
kommen uns alle meine türkischen Freunde und Kollegen mit Kind und Kegel besuchen und erzählen mit vollem Mund (für diese
Form der Folter müssen wir auch noch was kochen!), was für einen tollen und aufregenden Urlaub sie erlebt haben. In was für
einem |162| teuren 10-Sterne-Hotel – wenn nicht sogar zwölf Sterne – sie residiert haben und wie lecker das Essen, wie schön der Strand,
die Stadt, das Wetter und wie billig die Urlaubsschnäppchen waren.
In dieser hochtechnologischen Zeit bleibt es leider nicht nur beim Erzählen, es werden zusätzlich stapelweise Hochglanzfotos
rumgereicht und auf großen weißen Leinwänden stolz die selbst gedrehten, todlangweiligen Videofilme vorgeführt. Technischer
Fortschritt ist nicht immer zum Vorteil der Menschen, musst Du wissen!
Für meine Bekannten sind ihre langweiligen, nichtssagenden Wackelbilder natürlich überhaupt nicht langweilig, sondern unglaublich
interessant und höchst amüsant. Sie tun so, als wären ihre unscharfen, peinlichen Bilder, auf denen sie im knietiefen Wasser
in albernen Badehosen mit hässlichen Kindern am Planschen sind, spannender als ein Hitschkok-Krimi und künstlerisch wertvoller
als jeder Fellini-Streifen.
Nedim meinte sogar letztens allen Ernstes, dass er als Filmemacher auf jeden Fall das Zeug zu einem Hollywud-Oscar hätte,
und bewunderte dabei mit glänzenden Augen sein neuestes Urlaubs-Kunstwerk: Ein junger Schuhputzer irgendwo in Mittelanatolien
wischt in einer staubigen Fußgängerzone Nedims Sandalen sauber.
»Nedim, seit wann lässt du dir denn die Sandalen putzen?«, fragte ich ihn missbilligend, damit er mich mit seinem blöden Film
endlich verschont. Ich musste sein oskarreifes Filmchen nämlich mittlerweile zum siebten Mal ertragen. Einmal bei Ahmet, einmal
bei Hasan, zweimal bei mir und schon dreimal bei ihm zu Hause.
»Das ist ja gerade der geniale Gäg, Osman«, sagte er in |163| einer Spielberg-Pose. »Erst diese völlig unerwartete, authentische Szene macht meinen Film zu einem außergewöhnlichen Kunstwerk
und mich zu einem Meisterregisseur der modernen Filmkultur!«
Meine Frau Eminanim war mal wieder viel schlauer als ich. Sie sagte jedes Mal mit sehr betrübtem Gesicht, dass sie sich im
Urlaub mit verdorbenen Muscheln eine ganz schreckliche Magenschleimhautentzündung eingefangen hätte, und so saß sie alle diese
sieben Male, als Nedim uns mit seinen stumpfsinnigen Wackelbildern zu Tode folterte, total entspannt auf
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