Lieber Onkel Ömer
anlief.
»Also, die Türkei hat mir sehr gut gefallen, Osman, das muss ich schon sagen. Es ist alles so ganz anders als bei uns in Deutschland.
Wie soll ich sagen … ich meine, so türkisch. Und dann diese Gastfreundschaft. Kaum zu glauben. Wir sind überall herzlich empfangen
worden«, erzählte Hans immer noch richtig begeistert von seinem Türkeiurlaub.
»Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie viele Dias Hans gemacht hat«, rief Petra genauso begeistert, »in der Türkei gibt’s
ja massenweise Ruinen, ein Kunstwerk nach dem anderen. Und unglaublich viele Türken.«
»Ja, genau siebzig Millionen, alles Gastarbeiter«, sagte ich und habe meinem Nachbarn Hans geholfen, den mitgebrachten Projektor
aufzubauen.
Gemeinsam sahen wir uns die schönen Urlaubsdias an.
Es waren wirklich herrliche Bilder:
Die Bosporusbrücke
Die Blaue Moschee in Istanbul
Hans mit Turban vor der Moschee
Hans ohne Turban vor der Moschee
Petra mit Kopftuch vor der Moschee
Petra ohne Kopftuch vor der Moschee
|167| Petra auf dem Basar
Hans kauft Tomaten
Petra kauft Oliven
Ein echtes Kamel
Hans neben dem Kamel
Hans auf dem Kamel
Hans und Petra auf dem Kamel
Hans und Petra unter dem Kamel
»Bei Allah, was für einen aufregenden Urlaub ihr gemacht habt! Aber jetzt müsst ihr zum Essen in die Küche kommen, sonst wird
alles kalt«, sagte meine Frau und schleppte uns alle in die Küche, um ihre Kunstwerke zu präsentieren, die im Gegensatz zu
Nedims und Hans’ Kunstwerken wirklich ein echter Augen- und Zungenschmaus waren.
Während des Essens erzählten uns Hans und Petra mit vollem Mund von der Türkei. Petra hatte ständig einen dicken Brocken vom
»Ohnmächtigen Hodca« im Mund und Hans kaute genüsslich an dem »Gebratenen Frauenschenkel« rum. Und ich holte mir meine vierte
Portion blutige, halbgegarte »Albaner Leber«.
»Also, Osman, diese türkischen Händler sind wirklich ganz schön gerissen«, schmatzte Hans laut, »auf dem Istanbuler Basar
wollte mir jemand eine Halskette für tausend Lira andrehen. Aber ich habe diesen Gauner bis auf hundert Lira runtergehandelt.«
In dem Moment rief meine kleine Tochter Hatice auf Türkisch dazwischen:
»Aber dann bist du ja noch gerissener als die, Onkel Halil.«
|168| »Meine liebe Tochter wollte damit sagen: Du kannst aber auch gut handeln, Onkel Hans«, übersetzte ich.
In dem Augenblick sah ich, wie ihre Mutter das Kind für seine Unverschämtheit in den Po kniff.
»Auaaa«, kreischte Hatice laut.
»Hast du Bauchweh, mein Kind?«, fragte ich fürsorglich.
»Bestimmt, die arme Hatice hat sich auch irgendwie den Magen verdorben«, antwortete meine Frau.
Lieber Onkel Ömer, gleich nach dem Essen zeigten uns Hans und Petra mit genau der gleichen Begeisterung von vorhin und mit
immer neuen Kommentaren und Anekdoten noch einmal ihre gesamten Urlaubsdias. Glaub mir, mit vollem Bauch ist diese Folter
noch weniger zu ertragen!
Bevor Hans danach mit dem Schwachsinn zum dritten Mal von vorne anfangen konnte, habe ich mir blitzschnell irgendeinen Film
geschnappt und in den DVD-Pläyer geschoben.
Ob wir dadurch weniger leiden mussten, vermag ich jetzt im Nachhinein leider nicht mehr zu beurteilen. Der Film war nämlich
ein typisches türkisches Liebesdrama! Wer bei einem solchen Film nur zwei Taschentücher vollheult, muss ein Herz aus Stein
haben. Ich war schon mindestens beim dritten Taschentuch angelangt, als der Sittenstrolch von einem Schauspieler, der die
bildhübsche Hauptdarstellerin heimlich auf die Wange geküsst hatte, ihr brutal ins Gesicht sagte, er wolle sie aber trotzdem
nicht auf der Stelle heiraten!
Der Lüstling im Film behauptete allen Ernstes, ein Kuss auf die linke Wange stelle noch keinen Heiratsgrund dar. |169| Ich musste damals Eminanim für ein viel geringeres Vergehen heiraten!
Unsere Frauen waren selbstverständlich einer Ohnmacht gefährlich nahe, als der Kerl auch noch völlig gefühllos angab, dass
er einen mittleren Harem haben müsste, wenn er jede Frau heiraten würde, die er mal geküsst hat.
»Hans, deine Frau legt aber auch sehr großen Wert auf Ehre, fast genauso wie eine Türkin«, lobte ich unseren Gast.
»Ja, und wie«, antwortete Hans sichtlich stolz auf seine Petra, während er mit einem handtuchgroßen Taschentuch geräuschvoll
seine Nase putzte.
»Mein lieber Freund, das ist doch der beste Beweis für gelungene gegenseitige Integration«, sagte ich betont würdevoll.
»Kannst du
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