Lieber Osama
Ich war sie. Ich bin Petra Sutherland, sagte ich in den Spiegel und lächelte so wie sie.
Die echte Petra war in New York. Im Haus waren nur ich und Jasper, und der wachte erst in ein paar Stunden auf. Er lag abgemeldet aus der Welt im Bett hinter mir. Ich war ganz allein in Petras Leben und dachte: Wäre es nicht schön, wenn ich es nie mehr zurückgeben müsste? Ich bildete mir ein, wenn ich als Petra nur gut genug würde, dann käme sie vielleicht eines Tages von einer Woche bei der amerikanischen Vogue nach Hause zurück, wo ich ihr dann sage: WAS ZUM TEUFEL HAST DU IN MEINER WOHNUNG ZU SUCHEN? Dann müsste sie in die Wellington-Siedlung.
Noch einmal schaute ich in den Spiegel. Ich bin Petra Sutherland, sagte ich. Die Farben der diesjährigen Saison sind Jade, Terracotta und Burgund. Vor mir auf dem Tisch lag einer von Petras Artikeln aus dem Sunday Telegraph. Ich übte schon mal den vornehmen Jargon. Mit dem vornehmen Jargon ist es nämlich so wie mit allem anderen auch, Osama, man gewöhnt sich ziemlich schnell daran. Der Trick geht so: Du liest dir einen Satz von Petra laut vor und hängst in demselben Stil an, was immer dir gerade einfällt. Das kostet erst ein bisschen Mühe, aber damit kannst du dein Gehirn überlisten. Es ist so ähnlich, wie wenn wir damals unseren Astra anschieben mussten, damit er ansprang. Ich nahm Petras Artikel und las laut:
- Auf der Alltagsebene offenbart sich die Demokratisierung der Haute Couture etwa in der Verbreitung der früheren Röhrenhose, die sich inzwischen zur Hosenform schlechthin gemausert hat.
Ich beobachtete meine Lippen im Spiegel.
- Auf der Alltagsebene offenbart sich die Demokratisierung der Petra Sutherland etwa in der Tatsache, dass ich sie bin.
Ich lächelte. Je mehr ich übte, desto besser wurde ich. Du solltest es auch mal probieren, Osama. Die Farben der diesjährigen Anschlagserie sind Blutrot, Karmin und Scharlach.
-Ich bin Petra Sutherland. Es ist inzwischen September, und die Gesichter auf den Ballons des Schutzschilds der Hoffnung sind verblasst. Die Sommersonne hat sie ausgebleicht, sodass der Eindruck entsteht, London wird von Gespenstern bewacht.
Ich schüttelte Petras Kopf über so viel Doofheit. Sie hätte niemals Gespenster gesagt, sie hätte gesagt: Phantome. Das ist ein Unterschied. Ich versuchte es gleich nochmal.
- Ich bin Petra Sutherland, und meine Stadt wird von Phantomen bewacht.
Genauso ging’s. Ich lächelte.
- Ich bin Petra Sutherland, und meine Stadt wird von Phantomen bewacht, mein Freund ist Kokser im freien Fall, aber ich soll immer fröhlich bleiben.
Ich probierte das fröhliche Lächeln im Spiegel. Fast wäre ich selbst drauf reingefallen.
- Ich bin Petra Sutherland. Ich trage eine kastanienbraune Kordhose. Ich trage eine Bolerojacke mit hübschen Spitzenapplikationen an Kragen und Ärmel. Ich reibe mich für meinen Beruf auf. Ich bin schon frühmorgens in der Redaktion und komme erst spätabends wieder. In meinem Büro, zugeknallt mit Musterbüchern und Beiträgen freier Mitarbeiter, fühle ich mich am wohlsten. Vor den gemeinsamen Abenden zu Hause habe ich mich zu fürchten begonnen. Jasper verkommt zusehends, er vernachlässigt sich. Regelmäßig muss ich ihn in die Wanne stecken wie einen wasserscheuen Hammel. Sein Verhalten ist abartig und unkalkulierbar. Am Morgen nach einem besonders gigantischen Abend vergräbt er sich im Bett, zieht das Kissen über die Ohren und flennt wie ein Kind. Wenn er sich einigermaßen berappelt hat, gammelt er im Haus herum, zerschlägt Geschirr, trinkt literweise Kaffee und schafft es irgend wann sogar in die Zeitung. Wo man ihn übrigens nicht mehr gern sieht. Seine Kolumne geht wie er selbst den Bach hinunter. Seine Wörter sind keine mehr, sondern 800 gefletschte Zähne.
In seiner Kolumne wütet er gegen alles und jeden, der nicht Jasper Black heißt. Nicht mehr lange, und die Zeitung lässt ihn fallen.
- Ich bin Petra Sutherland. Die Leute in der Redaktion haben angefangen zu reden. Oder vielmehr aufgehört. Gespräche verstummen, wenn ich hinzukomme. Themen werden gewechselt. Schade, dass das schöne Wetter sich nicht gehalten hat.
Mein Lipgloss war verschmiert. Das lag an der Art, wie sie den Mund verzog, wenn sie von Jasper sprach. Ich wischte die Stelle mit einem Wattebausch weg und fing noch mal von vorn an.
- Ich bin Petra Sutherland, und dieses Mädchen im Haus hat am Ende nichts genutzt. Ich hatte gehofft, dass ihre Anwesenheit Jasper die Augen darüber öffnen
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