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Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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würde, wie unglaublich gewöhnlich sie ist. Aber sie hat es nicht geschafft, auch nur einen von uns zu langweilen. Jasper kratzt jede Nacht an ihrer Schlafzimmertür. Nur läßt sie ihn nicht rein, weil sie irgendeinem Polizisten hinterherjammert. Und dann, eines Nachts, bin ich einfach ins Badezimmer geplatzt. Die Kerzen rund um die Wanne waren fast heruntergebrannt, und sie lag ganz still im Wasser. Als sie die Tür aufgehen hörte, starrte sie mich nur an. Ich hätte gleich wieder gehen sollen, aber ich trat ein und schloss hinter mir ab.
    Ich machte die Augen zu. Ich erinnerte mich daran, wie Petra sich vergessen hatte. Ich hörte ein Geräusch, öffnete die Augen wieder und erschrak. Jasper stand hinter mir. Sein Spiegelbild betrachtete mein eigenes in Petras Schminkspiegel. Seine Bartstoppeln waren dicht und schwarz, die Augen sehr klein über den aufgedunsenen Tränensäcken. Er sah aus wie ein sterbender Panda. Er trug graue Boxershorts und schwarze Socken, sonst nichts. Er bekam langsam eine Wampe, wie ich feststellte. Als er sprach, klang seine Stimme leer und hohl wie die aus einem Spielzeug mit mauen Batterien.
    - Hallo, Petra, sagte er. Ich dachte, du wärst längst auf dem Weg zur Arbeit.
    Ich erstarrte. Ich wusste nicht, was ich jetzt sagen sollte, also sagte ich nichts. Jasper kam näher. Er legte die Hände auf meine Schulter, und ich fuhr zusammen. Er roch nach Albträumen und dem schalen Rauch von Camel Lights.
    -Ach komm, Petra, sagte er. Du könntest mir wenigstens hallo sagen.
    Ich blickte ihn im Spiegel an. Er starrte geradewegs zurück, und seine Augen waren so leer wie seine Stimme. Man sah ihm an, dass er hauptsächlich darüber nachdachte, wo das Neurofen war. Ich atmete auf. Ich war mir auf einmal sicher, dass ich Petras Ton treffen würde. Kalt und gekränkt.
    - Hallo, Jasper. Ich bin nicht davon ausgegangen, dass du in den nächsten Stunden von den Toten erwachst.
    - Ah, sagte Jasper.
    Er ging ins Bad und kramte in der Hausapotheke. Ich hörte ihn Schachteln auf den Boden werfen. Ich stand von Petras Schminktisch auf und ging ihm nach.
    - Ach, Schatz, ich kann einfach nicht sehen, wie du leidest. Ich fand das Neurofen und gab ihm die silbrig glänzende Schachtel. Er schloss seine Hand über meiner und schaute mich an.
    - Hast du was mit deinen Haaren gemacht oder so?, sagte er. Ich schüttelte den Kopf: nein.
    - Du siehst so anders aus.
    - Das ist dein Hangover. Ich bin dieselbe wie immer. Jasper rieb sich die Augen.
    - Hangover, sagte er. Ja genau, das habe ich. Ich fühle mich, als ginge die Welt zu Ende. Ich fühle mich, als hätten Mäuse die ganze Isolierung von meinen Neuronen abgenagt.
    Er rieb sich das Kinn.
    - O Gott, sagte er. Ich war gestern Abend wohl wieder mal ein komplettes Riesenarschloch, oder?
    - Nein, Jasper, gestern Abend warst du nur ganz normal unausstehlich. Aber du warst 3 Tage lang high. Der Tag, an dem du das komplette Riesenarschloch warst, war der Samstag.
    - Was habe ich denn gemacht?
    - Das glaubst du mir doch nicht, selbst wenn ich dir die blauen Flecke zeige.
    Ächzend setzte sich Jasper auf den Boden.
    - Gott, Petra, sagte er. Tut mir leid. Ich bin völlig im Arsch.
    - Darüber unterhalten wir uns, wenn ich von der Arbeit zu rückkomme.
    - Unterhalten?, sagte er. Ich weiß, worauf das hinausläuft. Du willst mich verlassen, stimmt’s? Bitte tu mir das nicht an, Petra. Wenn du mich verlässt, werde ich wahnsinnig, das weiß ich.
    Seine Augen irrten panisch umher, und ich wünschte, ich hätte das Spiel gar nicht erst angefangen. Ich sprach wieder mit meiner richtigen Stimme.
    - Schon gut, Jasper, ich bin’s nur.
    Jasper sah mich an und zwinkerte mit den Augen.
    - Petra ist in New York, das weißt du doch?
    Er riss die Augen auf und machte sie schnell wieder zu. Ich glaube, das Licht tat ihnen weh.
    - Ach, sagte er. Du.
    - Ja. Und jetzt komm. Steh auf.
    - Herrgott.
    Er stand auf, trat ans Waschbecken, drehte den kalten Wasserhahn, drückte 4 Neurofen aus der Packung und schluckte sie. Dann stand er nur da und besah sich im Spiegel, während das Wasser weiterlief.
    - Böser Jasper, sagte er.
    Lange stand er vor dem Spiegel. Keine Ahnung, wonach er in seinem Spiegelbild suchte. Vielleicht nach irgendeinem Scherz, dabei wirkte er so traurig. Ich trat hinter ihn und drehte den Wasserhahn zu. Ich schlang die Arme um seinen Bauch und legte die Wange an seinen Rücken. Er rührte sich nicht, sondern fing einfach an zu weinen. Nicht heftig, keine Show, nur diese

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