Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)
Boétie, er war oft in Boisgeloup, sechzig Kilometer nordwestlich von Paris, bei Marie-Thérèse, mit der er eine Tochter hatte, Maya, und die ihn zu bedeutenden Werken inspirierte. Es war ein neuer Picasso, der »Lord du Bois Jaloux«, des Eifersüchtigen Waldes, wie mein Großvater schrieb, der sah, wie sich sein Freund immer mehr von ihm entfernte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und vier Jahren Schweigen war es noch schwieriger, zu der einstigen Nähe zurückzufinden. Die immer selteneren Briefe sind nicht mehr mit der Hand, sondern mit der Maschine geschrieben, vor allem seit mein Großvater wegen eines Schlaganfalls Schwierigkeiten mit dem Schreiben – und Sprechen – hatte.
Doch im August 1944, als Paris befreit wurde und die Post wieder funktionierte, schreibt er Picasso voller Wärme: »Ichbrauche Ihnen nicht erst zu sagen, wie sehr Sie mir während meines Exils gefehlt haben.«
Dann begannen sie sich zu duzen, wahrscheinlich nachdem sie sich getroffen hatten, als Paul 1945 nach Paris kam, um nach seinem geplünderten Besitz zu sehen und wieder an das Leben vor dem Krieg anzuknüpfen. Und so begann auch das Gemisch von Freundschaft und Geschäft wieder, auch mit Picasso, obwohl er nicht mehr bei meinem Großvater unter Vertrag stand, sondern zu seinem früheren Händler Kahnweiler zurückgekehrt war. »Mein lieber Picasso, Du sollst wissen, dass ich gut in New York angekommen bin. Für welche Summe würdest Du das kleine Stillleben mit Obstschale und Kirschen rechts verkaufen? Ich umarme Dich, Paul.«
Am 15. Juli empörte sich mein Großvater über unlautere Geschäfte mit Picassos Namen: »Gerade erfahre ich, dass in New York demnächst Stoffe verkauft werden sollen, die sich ›Picasso-Grau‹ nennen. Es ist illegal, sich eines so berühmten Namens wie des Deinen zu bedienen, um irgendwelche Waren zu verkaufen. Eine Parfumfirma hatte den Namen Renoir verwendet, und nach einem von seiner Familie geführten Prozess musste sie ihn ändern. Gibst Du mir die gesetzliche Vollmacht, Dich zu vertreten und zu verteidigen?« Was Paul wohl sagen würde, wenn er das Citroën-Modell Xsara Picasso sähe, das zu Tausenden über die Straßen Frankreichs rollt?
Bis zu seinem Tod (am 21. Juni 1959) sah Paul Picasso nur noch einmal im Jahr, wenn er sich im Sommer in La Californie in Cannes aufhielt.
Ich glaube, mein Großvater war verletzt, dass Picasso nach dem Krieg seine 1914 unterbrochene Beziehung zu Daniel-Henry Kahnweiler wieder aufnahm, der bis zu Picassos Tod1973 auch sein Händler blieb. Aber Paul war in New York und oft krank, und Picasso, den jeder der beiden Weltkriege seinem jeweiligen Händler entfremdet hatte, war zu einem seiner frühesten Bewunderer zurückgekehrt.
Die Bewunderung meines Großvaters für den außergewöhnlichen Künstler blieb dennoch grenzenlos. »Der größte Künstler der heutigen Welt«, sagte er in den Dreißigerjahren. »Der fruchtbarste Künstler der Geschichte«, sagte er in den Fünfzigern.
Nach Pauls Tod hielten meine Großmutter und später meine Mutter die Verbindung aufrecht, brieflich und durch Besuche in La Californie, später in Notre-Dame-de-Vie in Mougins, an das auch ich mich erinnere.
Zunächst tauchen nur ziemlich ferne Bilder von Picasso aus meinem Gedächtnis auf. Picasso in seinem gestreiften Pullover – wie auf dem berühmten Foto von Doisneau – in einem Restaurant in Saint-Tropez, in das er meine Großeltern und mich in den Fünfzigerjahren einlud. Es war eines jener Essen, die Kindern endlos vorkommen, und die Wirtin stürzte sich auf die Reste des Papiertischtuchs, auf das er etwas gekritzelt hatte.
Später begleitete ich meine Eltern oft in sein Haus in Mougins, wenig begeistert über den Spaziergang, der mich um einen Nachmittag mit meinen Cousins am Strand von Cannes brachte. Das Ritual war immer das gleiche. Das Tor mit der Gegensprechanlage öffnete sich – es war die Zeit der Filme von Jacques Tati, und dieses technische Spielzeug schien mir der Gipfel der Modernität –, und Jacqueline erwartete uns vor dem Haus, in Caprihose und buntem Hemd, ganz Bewunderung, Hingabe und Liebe für ihren großen Mann. Ich sehe sie nochvor mir, bei unseren jährlichen Besuchen nach Picassos Tod, aufrecht wie eine Statue, eine hoheitsvolle Witwe, mit der Kopfhaltung einer Spanierin und langem Hals, wie Picasso sie so oft gemalt hat, barhäuptig oder mit Kopftuch, Turban oder Mantilla.
Ich war nicht in dem Alter, in dem man das mit Farbflecken übersäte Parkett
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