Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)
nicht (obwohl er sich, auf Wunsch des Malers, bei der Scheidung um die Inventarisierung des Besitzes kümmerte), auch nicht die wechselnden Lebensgefährtinnen: Marie-Thérèse Walter, die zumeist in Boisgeloup versteckt war, Dora Maar,Françoise Gilot und Jacqueline Roque, die allerdings erst nach dem Tod meines Großvaters Picassos Frau wurde.
Überraschend ist die Entdeckung, dass Paul sich zu Kritzeleien hinreißen ließ, ohne sich zu schämen! Auch meine Großmutter tat es ohne Zögern. Mit ihrem Federhalter (bis zu ihrem Tod 1968 habe ich sie nie anders als mit ihrem in ein großes Tintenfass getauchten Schulfederhalter schreiben sehen) zeichnete sie den Blick aus ihrem Zimmer in Deauville, der zumeist in Kleckse mündete …
Zu der Zeit wohl zeichnete Picasso als Exlibris für Paul ein offenes Fenster. Es klebte auf dem Vorsatzblatt aller Bücher meines Großvaters und schmückte bis zuletzt die Publikationen und Glückwunschkarten der Galerie Rosenberg.
Manchmal waren die beiden auch albern wie Schulbuben. Pauls Brief vom 4. Juli 1919 ist mit Bleistift schwarz umrandet. Ein Todesfall, zu dem mein Großvater sein aufrichtiges Beileid ausdrückte: »Der Papagei ist tot.« Es ging um das traurige Ende des Vogels, den Picasso den Rosenbergs in Pension gegeben hatte und von dessen letzten Momenten Paul berichtete. Unmittelbar darauf schrieb er: »Ich habe den Renoir verkauft, den Sie so sehr liebten, ›Die Frau, die ihr Hemd ausziehe‹«, was den Ernst der Todesanzeige etwas relativiert …
Bubenscherze, Vertraulichkeiten beziehungsweise Neckereien: »Liebe treulose Tomate, ich werde mich auf die Malerei werfen, ich bin eifersüchtig auf Ihre Lichter. Aber in welchem Stil soll ich malen? Kubistisch, rondistisch, loyalistisch, royalistisch, republikanisch und monarchistisch! Tatsächlich will ich Pinselist sein.«
In all den Jahren ihrer Freundschaft vermischt sich Geschäftliches und Privates: Paul kümmert sich um die praktischenAngelegenheiten Picassos, seine Bankpapiere, bestellt die Sperrholzplatten, die er für seine Collagen braucht, oder schickt ihm Tabak, und Picasso schickt ihm seine geliebten Bonbons aus der berühmten Konditorei in Nizza, Vogade. »Danke für die schöne Fatma, den schönen Neger, Ihr Foto und die Bonbons«, antwortet Paul, bei dem gleichzeitig kühne Bilder und gefüllte Bonbons ankommen.
Als Picasso in London war, schickte Paul ihn als Kundschafter aus: »Demnächst findet dort eine Ausstellung mit zwei Daumiers, einem Degas und einem Monet statt. Könnten Sie mir sagen, ob sie es lohnen, dass ich übers Meer fahre, um dabei zu sein?«
Sogar über Technik wagte mein Großvater zu reden: »Können Sie mit englischen Pinseln und Farben malen, auf englischer Leinwand? Verwenden Sie keinen Taft, er wellt sich, wenn man ihn nass macht.«
Nie vergaß er, für seinen Maler und Freund zu werben. So stellte er dem 78-jährigen großen Renoir das Werk seines jungen Malers vor: »Habe Renoir gesehen. Ihm von Ihnen gesprochen. Von manchen Sachen war er verblüfft. Und noch schockierter von anderen.« Picasso war entzückt, dass der bewunderte Meister sich für seine Arbeit interessierte. In diesen Jahren begann er eine Art malerischen Dialog mit Renoir, der für seinen damaligen Stil prägend wurde.
Paul bewies seinem Freund gelegentlich auch gern, dass sein untrügliches Auge sich von geschäftlichen Interessen nicht trüben ließ: »Ich hatte von jemandem Besuch, der glaubte, einen falschen und einen echten zu besitzen. Ich habe ihn beruhigt und ihm gesagt, dass beide von Ihnen sind.«
Gegenüber den Darstellungen von Sexualität in PicassosBildern – und Gott weiß, wie viele es davon gibt – blieb Paul merkwürdig altmodisch, Pierre Daix beschreibt ihn sogar als prüde: Die krudesten Bilder habe Paul abgelehnt, so einen Akt von Marie-Thérèse, über den er gesagt haben soll: »Ich will keine Arschlöcher in meiner Galerie!«[ 11 ]
Doch nach und nach – seltsam bei Freunden, die sich so nahe standen – kühlte ihre Beziehung ab.
Picasso ging auf Distanz, beschäftigte sich viel mit dem Surrealismus, den Paul wie auch Kahnweiler sich vom Leib hielten, und das schöne nachbarliche Einverständnis verwandelte sich langsam in die klassischere kommerzielle Beziehung. Paul spürte das und warf es Picasso auch vor, indem er ihn brieflich als seinen »unsichtbaren Freund« titulierte. Allerdings verbrachte Picasso zu Beginn der Dreißigerjahre auch weniger Zeit in der Rue La
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