Lieber tot als vergessen
überhaupt jemanden
geliebt?«
»Sich selbst.«
»Mmm... hast du sie geliebt?« Ich stieß Keith vor den Arm, und er nahm ein paar Chips und fing an zu mampfen.
»Yeah, hab ich vermutlich. Sie war ein Kumpel, nicht immer ein guter, aber so geht’s nun mal, oder?«
»Ich kann nicht glauben, daß sie was mit Dexter hatte.«
»Wer sagt das denn?«
»St. John.«
Keith verdrehte die Augen zum Himmel. Er sah aus wie ein Zehnjähriger: hellbraune Sommersprossen auf blasser Haut, glänzend schwarzes Haar, das ihm ins Gesicht fiel, das weiße Hemd ausgebeult und zerknautscht, die Ärmel ungleichmäßig hochgekrempelt. Er wandte sich dem Barmann zu, der sich vorgebeugt hatte, um ihm ins Ohr zu flüstern. »Zeit zu gehen, Georgie. Die Rechnung übernehme ich.«
»Nein, ich... ich bestehe darauf!« Ich fummelte mit meinem Scheckbuch herum und wünschte mir, ich hätte ein bißchen Bargeld.
»Das geht auf Spesen. Das hier sind unentbehrliche Recherchen für die Stadtredaktion.« Er stopfte das Scheckbuch in meine zerdrückte Handtasche.
Ich lehnte mich an die Bar und tippte ihm auf die Schulter. »Du hast mir keine Antwort gegeben.«
Abwesend klopfte er seine Taschen nach Zigaretten ab. Ein leeres, zellophanumhülltes Päckchen lag zerknüllt neben dem überlaufenden Aschenbecher. Ich deutete auf meine Handtasche. »Er lügt bestimmt«, sagte er, nachdem wir uns beide eine angezündet hatten. Ich zog die Brauen hoch und sog den Rauch in die Lunge. Die Antwort auf meine nächste Frage kannte ich schon.
»Wieso?«
»Weil Carla auf Mädels stand. Das weißt du doch. Auf eine ganz besonders, soviel ich weiß.« Er starrte mir geradewegs in die Augen, während der Rauch über unsere Köpfe hinwegwehte.
Ich zuckte die Achseln. »Warum sollte er lügen?«
»Vielleicht war es eine Vermutung. Er hat sie nicht gebumst; er dachte, Dexter tut es, aber vielleicht hatte er recht. Vielleicht hat Carla sich mit Dexter eingelassen, um irgendwas zu kriegen... würde gut zu ihr passen. Aber das ist es nicht, was mich an dieser kleinen Geschichte stört. Was mich stört, ist der Stoff, den sie in ihr gefunden haben. Carla hat ein bißchen geraucht; vielleicht hat sie zum Spaß auch mal ’ne Tablette eingeworfen oder ’ne kleine Prise geschnupft. Aber sie hatte nicht vor, Janis Joplin zu werden. Solche Probleme hatte sie nicht. Bei dem Stoff, den sie regelmäßig genommen hat, hätte man sich schon richtig Mühe geben müssen, um eine Überdosis zusammenzukriegen.«
Ich konnte mir nicht vorstellen, daß irgend jemand Carla aufs Kreuz legen konnte. Wenn jemand andere Leute aufs Kreuz legte, dann tat Carla es selbst. Komisch, wie manche Männer das sagten, sogar Keith, der sie gekannt hatte. Keith hatte allerdings recht; Carla hatte harte Drogen nicht gemocht. Aber was wußten wir schon? Leute ändern sich. Ich wußte das. Sie bemühten sich stets, sich an neue und feindselige Umgebungen anzupassen.
»Dann ist sie also ertrunken«, sagte ich.
»Überleg doch mal. Wenn sie auf ’nem Kokaintrip gewesen wäre, hätte sie sich fit genug gefühlt, um durch den Atlantik zu schwimmen oder doch wenigstens den Eindruck zu erwecken, daß sie es könnte. Aber es heißt, sie hat einfach auf dem Rücken gelegen und sich wegtragen lassen.«
»Die Welle hat sie weggetragen.«
»Ach ja.«
»St. John sagt, sie war auf Heroin.«
Keith machte ein überraschtes Gesicht. »Das hat er gesagt? Na, er dürfte es wissen, denke ich. Er dürfte es auf alle Fälle wissen, er war auf der Tournee dabei und so weiter. Ich weiß, daß so was in der Zeitung gestanden hat; aber es könnte das erste Mal für sie gewesen sein. Überleg doch mal. Der Stoff könnte zu stark gewesen sein oder zu rein. So kommt’s zu ’ner Überdosis.« Er schüttelte den Kopf und nahm den letzten Mais-Chip.
Fast hätte ich das Anzeigenblättchen in den Mülleimer geworfen, aber dann fiel mir die Schlagzeile ins Auge. Die Drogenszene bekam allmählich eine gewisse Faszination für mich.
VERSCHNITTENES HEROIN: HÄNDLER TOT
Der Bruder eines Gastwirts wurde am Sonntag morgen in seiner Wohnung in der Bow tot aufgefunden, nachdem er einen tödlichen Cocktail aus Heroin und Scheuerpulver zu sich genommen hatte. Die Polizei glaubt, daß der Mann, ein Markthändler, skrupellosen Rauschgiftdealern zum Opfer gefallen ist, die in dieser Gegend operieren.
Der achtundzwanzigjährige Thomas Vittorio Levi, wohnhaft 37A Abbey Road, Bow, starb an der intravenösen Injektion von
Weitere Kostenlose Bücher