Lieber tot als vergessen
sah Cheryl LeMat, die mit gesenktem Kopf auf St. John einredete. Sie sah wütend und aufgebracht aus.
»Wann ist er zur Ghea gekommen?«
»Oh... gar nicht. Dexter hat die Ghea vor zehn Jahren gegründet. Es ist seine Firma, inzwischen eins der größten Independent Labels hierzulande. Der Börsengang könnte ihm an die dreihundert Millionen Pfund einbringen, vielleicht mehr.«
Keith schaffte es, ein ganzes Hackpastetchen mit anderthalb Bissen in den Mund zu stopfen. Ich mußte so lange warten. »Mmmmm... Die Geschichte ist hier aber noch nicht zu Ende. Er holte Waits zurück, mit einem Management- und Plattenvertrag, und sie schafften es mit >Here’s Johnny< — und die ist immer noch in den Charts. Aber, Scheiße, die Schlacht vor Gericht war fürchterlich. Waits wollte weg, aber Dexter mußte Dome trotzdem zwei Millionen zahlen.«
»Hat er deshalb die Bemerkung über tote Stars gemacht?«
Keith kam ein bißchen näher. Ich roch frisches Gebäck und Zigaretten in seinem Atem, als er flüsterte: »Mike Dome weiß, wo Dexter seine Gerippe versteckt hat. Weißt du... Waits und Dexter waren ein Pärchen. Im Ernst. Waits, die alte Sex Machine, war stockschwul, aber Dexter hier... sagen wir, er... fährt zweigleisig. Carla hat es mir erzählt. Persönlich weiß ich bloß, daß Cheryl LeMat Gattin Nummer eins ist, und bis heute habe ich nichts davon gehört, daß er irgendwelche Zicken gemacht hätte. Na ja, schau sie dir an — wenn eine Frau einen zum Hetero machen kann, dann sie. Aber jetzt paß auf... als Waits sich den Goldenen Schuß setzte, da war Dexter bei ihm. Dexter brachte Waits in der Nacht, als er starb, ins Krankenhaus. Darüber denk mal nach.« Keith zog sich mit einem Finger den Augenwinkel herunter.
Ich stellte meinen immer noch vollen Teller mit krabbengefüllten Windbeuteln auf den Tisch am Fenster. »Bei Carla war er auch dabei, weißt du«, sagte ich, während er sich die Krümel vom Jackett wischte.
»Yeah.«
Einer stirbt in Dexters Armen, der andere knapp außerhalb seiner Reichweite. Wenn man einen verliert, kann das als Mißgeschick durchgehen, aber beide... das sieht nachlässig aus. So ist es. Ich mußte deprimiert aussehen, denn Keith legte einen Arm um mich und drückte mich tröstend.
»Was hältst du von ein paar strammen Tequilas im Los Locos? Ich hab den Weihnachtsfraß hier satt, und ich könnte auf diese Tiere hier pissen. Laß uns das Mädchen anständig verabschieden!« Er nahm mich beim Arm, und wir zogen zusammen los und machten uns auf die Suche nach Killercocktails, scharfem Chili und Tortilla-Chips. »Kannst mich David nennen«, sagte er, als wir ins Taxi stiegen.
»Sei nicht albern«, antwortete ich.
Um Mitternacht saßen wir immer noch an der Bar.
»Ich habe etwas... sehr Unanständiges gemacht, Keith«, murmelte ich an seinem Hemd.
»Nein, hast du noch nicht... Arf! Arf!« Er schnaufte in sein zehntes Schälchen Mais-Chips.
»Sehr komisch. Nein, wirklich, hab’ ich doch.«
»Tja, meine kleine Kaktusblüte, du kannst dem lieben David hier alles erzählen; er ist sehr verständnisvoll... und diskret. Piep, piep... okay? Bereit zur Zündung?«
»Okay!«
Unsere Hände schossen vor und packten die hohen Gläser, während Keith eine kleine Glocke auf dem Tresen läutete. Wir warfen die Köpfe in den Nacken, kippten den Tequila mit Höchstgeschwindigkeit in den offenen Schlund, und als die brennende Flüssigkeit im Magen anlangte, warfen wir die Köpfe wieder nach vorn, schlugen mit der flachen Hand auf die Theke und brüllten lauthals: »Hh... hhh... Hhhou!«
In meinem Kopf brummte der Mescal, und der Barmann kam mir immer größer und gleichzeitig immer weiter weg vor. Ich beschloß, eine Weile gar nichts zu sagen und nahm mir einen Chip. Die Krümel schienen zu explodieren und sich in meinem Mund zu vervielfältigen. Keiths Augen tränten.
»Schon mal den mit dem Wurm getrunken?«
»Kann sein.«
»In der Flasche. Die Mexikaner stecken einen Wurm in die Mescalflasche, und du mußt den Wurm dann essen, um deine Männlichkeit zu beweisen.«
»Keith, es ist dir vielleicht noch nicht aufgefallen, aber ich brauche meine Männlichkeit nicht zu beweisen. Iß du den Wurm, und wenn du dann einen Ständer kriegst, kannst du die Flasche austrinken.«
Der Barmann sagte, er habe keine Flasche mit Wurm. Ich glaube, Keith sah erleichtert aus.
»Erzähl mir was von Carla«, sagte ich, und mein Mund war voller Mais-Chip-Krümel.
»Was?«
»Wen hat sie geliebt? Hat sie
Weitere Kostenlose Bücher