Lieber tot als vergessen
Sorte gehörte er nicht. Er spielte rum. Für eine Frau war es weder leicht noch sicher, mit ihm zusammenzusein. Und diese Fotos? Sie sah glücklich aus, sicher, aber weshalb hatte er die Fotos machen müssen? Vielleicht mochte er Frauen doch nicht. Vielleicht machte er sich seinen Spaß, brachte sie ins Unglück und kümmerte sich nicht weiter darum. Wie das Mädchen immer sagte: Verdammt schwer zu erkennen.
»Wohnen Sie hier?« fragte ich.
»Wenn ich in der Stadt bin, ja. Eigentlich ist es ein Büro.« Er stand auf und steckte die Hände in die Taschen. Ende des Gesprächs. Einer der Hunde gähnte und klappte die Lefzen zusammen. Ich nahm meine Tasche und überlegte, ob ich es, bevor ich ging, über mich bringen könnte, ihn zu fragen, wer Tommy seiner Meinung nach umgebracht habe.
»Was ist eigentlich Ihr Interesse bei alldem?« fragte er und nahm mir die Entscheidung aus der Hand.
Jetzt sehnte ich mich verzweifelt nach einer Zigarette. Was war mein Interesse? An toten Junkies und schwarzkopierten Tonbändern? An Mrs. Dexters Seitensprüngen? Ich wußte es nicht genau. Bis dahin wußte ich es nur halb. Seit Carlas Tod war ich in einem Traumnebel herumgetappt und hatte mich vorangetastet. Tommys Tod hatte angefangen, den Nebel wegzubrennen, und kleine Klippen der Intuition ragten allmählich aus dem schwindenden Dunst. Bis jetzt war ich zu keinem Schluß gekommen, und diese Gelegenheit, die Möglichkeit zu testen, war so gut wie jede andere.
»Na ja, ich denke... ich denke... wer immer Ihren Tommy umgebracht hat, hat vielleicht auch... Carla Blue umgebracht. Meine Freundin Carla. Aber ich weiß nicht, warum.«
Tonys nußbraune Augen blickten jetzt ein bißchen großzügiger, ein bißchen lebendiger. »Tja, Georgina, ich zumindest denke mir, Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen.«
Mich mit Carlas Tod abzufinden, war eine Sache. Es war mir noch nicht gelungen. Aber mich damit abzufinden, daß sie ermordet worden war, das war etwas völlig anderes. Das unbestimmte Wissen in mir war endlich an die Oberfläche gekommen, und ich hatte keine Zeit gehabt, es zu bestreiten und mich langsam in die Wahrheit hineingleiten zu lassen. Er hatte mich nicht verrückt genannt, war nicht einmal vor dem furchtbaren Gedanken zurückgezuckt. Er hatte mir recht gegeben. In seiner Welt war Mord möglich, ja, wahrscheinlich. In meiner Welt war er unerwartet. Ich konnte eine ganze Weile nicht sprechen, und er versuchte es auch nicht. Es blieb still, bis die Wintersonne sich schließlich vollends aus dem Zimmer zurückzog und Tony eine Stehlampe einschaltete.
»Brauchen Sie etwas zu trinken?« Nicht »wollen«. »Brauchen«.
Ich nickte. Er gab mir einen Scotch. Scotch für Schocks. Gin für die Sünde. Ich nahm einen großen Schluck mit geschlossenen Augen. Es war mir egal, ob er es sah; er sollte nur sehen, daß ich damit zurechtkam. Nach dem, was er sah, würde er mich beurteilen, und ich würde ihn beurteilen nach dem, was er darüber sagte. Aber er sagte nichts. Der Alkohol brannte mir auf den Lippen, und der panische Gedankenwirbel in meinem Kopf verlangsamte sich auf ein akzeptables Tempo. Vor Erleichterung hätte ich am liebsten geweint. »Irgendwelche Ideen?« fragte ich und stellte das leere Glas hin, ließ es aber nicht los.
»Haben Sie diese Cheryl LeMat kennengelernt?«
Ich sah auf. Ich stellte eine Frage, er antwortete mit einer Frage. »Auf einer Ghea-Party am letzten Samstag. Sie war mit ihrem Mann da. Ein bißchen angespannt.«
»Glauben Sie, Dexter hat es getan?«
»Er könnte. Hören Sie, ich weiß, daß Sie was wissen. Sie haben doch etwas. Warum fragen Sie mich?«
Er drehte den schwarzen Metallverschluß der Scotchflasche auf und schenkte uns beiden noch einmal ein. »Okay. Ich habe das Zeug, das Tommy hatte. Sie nicht. Was bringt Sie also darauf, daß sein Mörder auch Ihre Freundin umgebracht hat?«
»Mehrere Dinge. Erstens, er war bei ihr, als sie starb, unten am Pool. Zweitens, sie hatte eine Menge Heroin genommen, aber soweit ich weiß, hatte sie das Zeug nie probiert. Drittens, er war bei Johnny Waits, als er an einer Überdosis Heroin starb. Was ist, wenn er ihm auf die Sprünge geholfen hat? Wenn ja, dann weiß er, wie man damit durchkommt.«
»Motiv?«
»Weiß ich nicht. Geld möglicherweise. Lebendig oder tot, sie war ein Vermögen wert. Eifersucht. Ich weiß es nicht. Verdammt, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß es anscheinend niemandem etwas ausmachte, als sie starb — nicht ihrem
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