Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
man kaum noch hinausschauen konnte.
Die Ostwand der Küche hatte keine Fenster, aber eine Tür zu einer kleinen Terrasse, auf die wir die schwere nasse Wäsche hingen und dann abnahmen, wenn sie trocken war und mit ihrem frischen Geruch belohnte, von weißen Laken bis zu dicken, dunklen Overalls.
Bei dieser Terrasse machte ich manchmal halt auf meinen nächtlichen Wanderungen. Ich setzte mich nie hin, aber es erleichterte mich, zur Stadt hinüberzuschauen, vielleicht einfach deren Normalität einzuatmen. All diese Menschen, die bald aufstanden, um in ihre Läden zu gehen, ihre Türen aufzuschließen und die Milchflaschen hereinzuholen, ihre Arbeit zu tun.
Eines Nachts – ich kann nicht sagen, ob es die zwanzigste oder die zwölfte oder erst die achte oder neunte war, in der ich aufstand und umherlief – hatte ich, zu spät, um mein Tempo zu ändern, das Gefühl, dass um die Ecke herum jemand war. Dort wartete jemand, und ich konnte nichts tun, als weiterzugehen. Wenn ich kehrtmachte, würde ich von hinten erwischt werden, was schlimmer war als von vorn.
Wer war da? Niemand anders als mein Vater. Er saß auf der kleinen Terrasse und schaute auch zur Stadt und diesem unwahrscheinlichen schwachen Schein. Er hatte seine Alltagskleidung an – dunkle Arbeitshose, fast auf einer Stufe mit einem Overall, aber nicht ganz, dunkles grobes Hemd und Stiefel. Er rauchte eine Zigarette. Eine Selbstgedrehte natürlich. Vielleicht hatte mich der Zigarettenrauch vor der Anwesenheit eines anderen gewarnt, obwohl es sein kann, dass zu jener Zeit der Geruch nach Zigarettenrauch überall war, innerhalb und außerhalb von Häusern, so dass es keine Möglichkeit gab, ihn zu bemerken.
Er sagte guten Morgen, auf eine Weise, die natürlich hätte sein können, nur dass sie nichts Natürliches an sich hatte. Wir waren es in unserer Familie nicht gewohnt, solche Begrüßungen auszusprechen. Daran war nichts Feindseliges – es wurde einfach für unnötig gehalten, nehme ich an, wo wir uns doch den ganzen Tag lang immer wieder sahen.
Ich sagte auch guten Morgen. Und es muss wirklich auf den Morgen zugegangen sein, sonst wäre mein Vater nicht für die Arbeit des Tages angezogen gewesen. Der Himmel mag sich schon aufgehellt haben, was die dichten Bäume noch verbargen. Die Vögel sangen auch schon. Ich war dazu übergegangen, von meinem Bett länger und länger fortzubleiben, obwohl mir das nicht mehr solche Erleichterung verschaffte wie am Anfang. Die Möglichkeiten, die einst nur das Schlafzimmer, das Etagenbett bewohnt hatten, eroberten alle Winkel.
Wenn ich jetzt darüber nachdenke, frage ich mich, warum mein Vater nicht seinen Overall anhatte. Er war gekleidet, als müsste er als Erstes am Morgen in die Stadt fahren, um etwas zu erledigen.
Ich konnte nicht weitergehen, der ganze Rhythmus war gebrochen.
»Probleme mit dem Schlafen?«, fragte er.
Mein erster Gedanke war, nein zu sagen, aber ich dachte an die Schwierigkeiten, zu erklären, warum ich einfach so herumlief, also sagte ich ja.
Er sagte, das sei in Sommernächten oft der Fall.
»Man ist erschöpft, und dann, gerade wenn man denkt, jetzt schläft man ein, ist man hellwach. So ist es doch?«
Ich sagte ja.
Ich wusste nun, dass er mich nicht nur in dieser einen Nacht hatte aufstehen und umhergehen hören. Ein Mensch, dessen Tierbestand sich auf dem Hof befand, dessen Einkünfte, wie schmal auch immer, im Haus lagen, und der eine Schusswaffe in seiner Schreibtischschublade aufbewahrte, regte sich bestimmt bei leisesten Schritten auf der Treppe und bei der geringsten Drehung des Türknaufs.
Ich bin nicht sicher, wie er das Gespräch in Bezug auf mein Wachsein fortsetzen wollte. Ich meine, er erklärte Schlaflosigkeit für eine Plage, aber sollte das alles sein? Ich hatte gewiss nicht vor, ihm mehr zu sagen. Wenn er die leiseste Andeutung gemacht hätte, er wüsste, dass da mehr war, wenn er sogar zu verstehen gegeben hätte, dass er hier war, um es zu hören, dann hätte er, glaube ich, gar nichts aus mir herausbekommen. Ich musste das Schweigen aus eigenem Willen brechen und zugeben, dass ich nicht schlafen konnte. Sondern aufstehen und herumlaufen musste.
Warum denn?
Das wusste ich nicht.
Keine Albträume?
Nein.
»Dumme Frage«, sagte er. »Schöne Träume würden dich nicht aus dem Bett scheuchen.«
Er wartete ab, ob noch etwas kam, er fragte nichts. Ich hatte vor, mich zurückzunehmen, aber ich redete weiter. Die Wahrheit kam mit nur wenigen Abstrichen
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