Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
dröhnend ausgerufen wurden und dazu noch seltsam überhastet, was überhaupt nicht hilfreich war, es sei denn, man kannte den Tanz schon. Was allerdings alle taten, denn sie hatten diese Tänze bereits im Alter von zehn oder zwölf Jahren gelernt.
Meine Mutter, inzwischen eine verheiratete Frau mit drei Kindern, war immer noch in einem Alter und einer Verfassung, um an solchen Tanzabenden Spaß zu haben, hätte sie mitten auf dem Land gelebt, wo sie immer noch stattfanden. Sie hätte auch Spaß an den von Paaren ausgeführten Rundtänzen gehabt, die inzwischen den alten Stil bis zu einem gewissen Grad ablösten. Aber sie befand sich in einer sonderbaren Situation. Wir alle. Unsere Familie lebte zwar außerhalb der Stadt, aber auch nicht richtig auf dem Land.
Mein Vater, der bei den Leuten wesentlich beliebter war als meine Mutter, war ein Mann, der daran glaubte, dass man sich mit dem abfinden musste, was einem zugeteilt wurde. Nicht so meine Mutter. Sie war von ihrem Leben als Farmerstochter aufgestiegen und Lehrerin geworden, aber das war nicht genug, es hatte ihr nicht die gesellschaftliche Stellung oder die Freundinnen gebracht, die sie gerne in der Stadt gehabt hätte. Sie wohnte am falschen Platz und hatte nicht genug Geld, und sie eignete sich ohnehin nicht dafür. Sie konnte Whist spielen, aber nicht Bridge. Sie war entsetzt, wenn sie eine Frau rauchen sah. Ich glaube, die Leute fanden sie streberhaft und gespreizt. Sie gebrauchte Ausdrücke wie »dergleichen« oder »in der Tat«. Sie hörte sich an, als wäre sie in einer merkwürdigen Familie aufgewachsen, die immer so redete. Was nicht stimmte. Draußen auf ihren Farmen redeten meine Onkel und Tanten wie alle anderen. Außerdem mochten sie meine Mutter nicht besonders.
Ich meine damit nicht, dass sie ihre ganze Zeit damit zubrachte, sich zu wünschen, alles wäre anders. Wie jede andere Frau mit Waschzubern, die in die Küche geschleppt werden mussten, ohne fließendes Wasser und mit der Aufgabe, den größten Teil des Sommers über Nahrungsmittel für den Winter zu konservieren, hatte sie viel zu tun. Sie hatte nicht einmal genug Zeit dafür, wie sie sonst gehabt hätte, von mir enttäuscht zu sein und darüber nachzudenken, warum ich nicht die richtigen Freundinnen oder überhaupt keine Freundinnen von der Schule in der Stadt mit nach Hause brachte. Oder warum ich mich vor dem Aufsagen in der Sonntagsschule drückte, etwas, worum ich mich früher gerissen hatte. Oder warum ich mit Haaren nach Hause kam, aus denen die Ringellocken herausgerissen waren – diese Schändung hatte ich schon auf dem Weg in die Schule vollbracht, denn niemand sonst trug die Haare so, wie sie meine frisierte. Oder warum ich es sogar geschafft hatte, das fabelhafte Gedächtnis lahmzulegen, das ich für das Auswendiglernen von Gedichten besaß, und mich weigerte, es je wieder einzusetzen, um mich hervorzutun.
Aber ich bin nicht immer voller Trotz und Widerborstigkeit. Noch nicht. Hier bin ich mit zehn Jahren, ganz erpicht darauf, fein angezogen zu sein und meine Mutter zum Tanzen zu begleiten.
Der Tanzabend fand in einem der durchaus respektablen, wenn auch nicht wohlhabend aussehenden Häuser an unserer Straße statt. Ein großes Holzhaus, bewohnt von Leuten, über die ich nichts wusste, außer dass der Mann in der Gießerei arbeitete, obwohl er alt genug war, um mein Großvater zu sein. Damals hörte man in der Gießerei nicht auf, man arbeitete, solange man konnte, und versuchte, Geld zu sparen für die Zeit, wenn man es nicht mehr konnte. Es war eine Schande, sogar mitten in dem, was, wie ich später lernte, die Weltwirtschaftskrise genannt wurde, ein Altersruhegeld beantragen zu müssen. Es war eine Schande, wenn die erwachsenen Kinder das zuließen, ganz egal, in welcher Not sie sich ihrerseits befanden.
Einige Fragen kommen einem jetzt in den Sinn, die sich damals nicht stellten.
Veranstalteten die Leute, die in dem Haus wohnten, diesen Tanzabend einfach, um ein Fest zu geben? Oder nahmen sie Eintritt? Sie konnten in finanziellen Schwierigkeiten gesteckt haben, obwohl der Mann Arbeit hatte. Arztrechnungen. Ich wusste, wie schrecklich sie über eine Familie hereinbrechen konnten. Meine kleine Schwester war zart, wie die Leute sagten, und ihre Mandeln waren schon herausgenommen worden. Mein Bruder und ich hatten jeden Winter eine fulminante Bronchitis, die Arztbesuche erforderte. Ärzte kosteten Geld.
Außerdem hätte ich mich fragen können, warum ich
Weitere Kostenlose Bücher