Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
und ich tat es, und da stand er, derselbe Mann. Obwohl er jetzt kahler und korpulenter war und schlechter gekleidet. Ich kann mich nicht erinnern, dass er irgendetwas zu mir sagte, aber das brauchte er auch nicht. Ich stürzte hinaus, zurück zu meinen Freundinnen, die wohl eigentlich keine waren, und erzählte ihnen nichts davon.
Als ich den Besitzer des Billardkasinos sah, kam mir die ganze Szene des Tanzabends wieder in den Sinn, das Hämmern des Klaviers und das Gefiedel der Geige und das rotgoldene Kleid, das ich inzwischen lächerlich gefunden hätte, und das plötzliche Erscheinen meiner Mutter im Mantel, den sie wahrscheinlich gar nicht erst ausgezogen hatte.
Da stand sie und rief über die Musik hinweg meinen Namen in einem Ton, den ich besonders verabscheute, der Ton, der mich ausdrücklich daran zu ermahnen schien, dass ich es ihr zu verdanken hatte, überhaupt auf der Welt zu sein.
Sie fragte: »Wo ist dein Mantel?«, als hätte ich ihn verbummelt.
»Oben.«
»Dann hol ihn.«
Sie hätte ihn dort gesehen, wenn sie selbst oben gewesen wäre. Sie war also gar nicht über die Küche hinausgelangt, musste sich mit dem Essen zu schaffen gemacht haben, ohne den Mantel auszuziehen, bis sie in das Zimmer sah, wo getanzt wurde, und die rotgoldene Tänzerin erkannte.
»Beeil dich«, sagte sie.
Ich dachte gar nicht daran. Ich machte die Tür zur Treppe auf und ging die ersten paar Stufen hinauf, wo ich feststellte, dass auf dem Absatz mehrere Leute saßen und meinen Weg blockierten. Sie bemerkten mich nicht – sie waren offenbar mit etwas Ernstem beschäftigt. Nicht direkt ein Streit, aber irgendetwas Dringendes.
Zwei dieser Leute waren Männer. Junge Männer in Luftwaffenuniformen. Einer saß auf einer Stufe, ein anderer auf der Stufe darunter, vorgebeugt und eine Hand aufs Knie gestützt. Ein Mädchen saß auf der Stufe über ihnen, und der Mann, der näher bei ihr saß, streichelte tröstend ihr Bein. Ich dachte, sie musste auf dieser schmalen Treppe gestürzt sein und sich weh getan haben, denn sie weinte.
Peggy. Sie hieß Peggy. »Peggy, Peggy«, sagten die jungen Männer in eindringlichem und sogar zärtlichem Tonfall.
Sie sagte etwas, das ich nicht verstehen konnte. Sie sprach mit kindlicher Stimme. Sie beklagte sich, wie man sich über etwas beklagt, das unfair ist. Man sagt ein ums andere Mal, dass etwas unfair ist, aber in hoffnungslosem Tonfall, als erwartete man nicht, dass sich daran etwas ändern könnte. Gemein ist ein anderes Wort, das man unter solchen Umständen benutzt. Das ist so gemein. Jemand ist so gemein gewesen.
Beim Belauschen von dem, was meine Mutter meinem Vater erzählte, als wir nach Hause kamen, erfuhr ich einiges über das, was passiert war, aber ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Mrs Hutchison war auf dem Tanzabend erschienen, weil der Billardkasino-Mann, von dem ich da noch nicht wusste, dass er der Billardkasino-Mann war, sie hingefahren hatte. Seinen Namen habe ich nicht behalten, aber meine Mutter war tief enttäuscht von seinem Verhalten. Der Tanzabend hatte sich herumgesprochen, und einige Jungs aus Port Albert – das heißt, aus dem Luftwaffenstützpunkt – hatten beschlossen, sich auch dort sehen zu lassen. Was natürlich völlig in Ordnung war. Die Luftwaffenjungs waren in Ordnung. Es war Mrs Hutchison, die eine Schande war. Und das Mädchen.
Sie hatte eines ihrer Mädchen mitgebracht.
»Wollte vielleicht einfach mal ausgehen«, sagte mein Vater. »Tanzt vielleicht gerne.«
Meine Mutter schien das überhaupt nicht gehört zu haben. Sie sagte, es sei eine Schande. Man freute sich auf einen netten Abend, ein harmloses Tanzvergnügen in der Nachbarschaft, und dann das.
Ich hatte die Angewohnheit, das Aussehen älterer Mädchen unter die Lupe zu nehmen. Peggy fand ich nicht besonders hübsch. Vielleicht hatten ihre Tränen ihr Make-up ruiniert. Außerdem hatten ihre aufgerollten mausfarbenen Haare sich aus einigen der Haarklammern gelöst. Ihre Fingernägel waren lackiert, sahen aber so aus, als ob sie daran kaute. Sie wirkte nicht viel erwachsener als eines dieser weinerlichen, hinterlistigen, ständig jammernden älteren Mädchen, die ich kannte. Trotzdem behandelten die jungen Männer sie, als sei sie eine Person, die es verdiente, keinen einzigen bitteren Moment erleben zu müssen, die mit Recht erwarten konnte, verhätschelt und verwöhnt zu werden und Ehrerbietung zu genießen.
Einer von ihnen bot ihr eine Zigarette aus einem Päckchen an.
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