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Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Titel: Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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nie kommen. Er hielt mich offensichtlich für eine Plage und eine dumme Kuh.
    Ich erfuhr beim Mittagessen von den Hilfsschwestern, dass jemand am Vormittag eine Operation nicht überlebt hatte. Also erwies sich mein Ärger als nicht gerechtfertigt, ein Grund mehr, mich wie eine dumme Kuh zu fühlen.
     
     
    Nachmittags hatten wir frei. Meine Schüler legten sich zu einem langen Mittagsschlaf hin, und ich hatte manchmal Lust, das auch zu tun. Mein Zimmer war kalt – überall in dem Gebäude kam es mir kalt vor, weitaus kälter als in der Wohnung in der Avenue Road, obwohl meine Großeltern die Heizkörper aus patriotischen Gründen herunterregelten. Und die Bettdecken waren dünn – bestimmt brauchten Menschen mit Tuberkulose etwas Molligeres.
    Natürlich hatte ich keine Tuberkulose. Vielleicht knauserten sie bei der Versorgung von Leuten wie mir.
    Ich fühlte mich schläfrig, konnte aber nicht schlafen. Über mir rumpelten die Krankenbetten, die zur eisigen Nachmittagsliegekur auf die offenen Veranden hinausgerollt wurden.
    Das Gebäude, die Bäume, der See waren für mich nie mehr so wie an jenem ersten Tag, als sie mich mit ihrer geheimnisvollen Macht in Bann schlugen. An jenem Tag hatte ich mich für unsichtbar gehalten. Jetzt schien das alles nie gewesen zu sein.
    Da ist die Lehrerin. Was hat sie vor?
    Schaut auf den See.
    Wozu?
    Hat nichts Besseres zu tun.
    Manche Menschen haben eben Glück.
     
     
    Dann und wann ließ ich das Mittagessen aus, obwohl es Teil meines Gehalts war. Ich machte mich auf den Weg nach Amundsen, wo ich in einem Café etwas aß. Der Kaffee war aus geröstetem Getreide, und bei den Sandwiches war die beste Wahl Dosenlachs, wenn sie welchen hatten. Der Geflügelsalat musste sorgfältig auf Haut- und Knorpelstückchen untersucht werden. Trotzdem fühlte ich mich dort wohler, als wüsste niemand, wer ich war.
    In dieser Hinsicht befand ich mich wahrscheinlich im Irrtum.
    Das Café besaß keine Toilette, also musste man in das Hotel nebenan gehen und dort vorbei an der offenen Tür der Bar, die immer dunkel und laut war und den Geruch nach Bier und Whisky verströmte sowie eine Wolke aus Zigaretten- und Zigarrenrauch, die einem den Atem nehmen konnte. Trotzdem fühlte ich mich dort einigermaßen wohl. Die Holzfäller vom Sägewerk pflaumten einen nie so an wie die Soldaten und Piloten in Toronto. Sie steckten tief in einer Männerwelt, grölten sich ihre eigenen Geschichten zu und waren nicht da, um nach Frauen Ausschau zu halten. Wahrscheinlich eher darauf aus, von denen wegzukommen, ein für alle Mal.
    Der Doktor hatte eine Praxis auf der Hauptstraße. Nur ein kleines eingeschossiges Haus, also musste er woanders wohnen. Ich hatte von den Hilfsschwestern aufgeschnappt, dass es keine Ehefrau gab. In der einzigen Seitenstraße fand ich das Haus, das ihm gehören konnte – ein verputztes Haus mit einem Gaubenfenster über der Haustür, auf dessen Brett sich Bücher reihten. Das Ganze machte einen kargen, aber ordentlichen Eindruck, deutete auf minimale, aber penible Behaglichkeit, wie sie ein alleinstehender Mann – einer mit geregelter Lebensweise – zustande bringen mochte.
    Die Schule am Ende dieser einzigen reinen Wohnstraße hatte zwei Geschosse. Unten wurden die Schüler bis zur achten Klasse unterrichtet, im Obergeschoss die bis zur zwölften. Eines Nachmittags entdeckte ich dort Mary, sie beteiligte sich an einer Schneeballschlacht. Anscheinend ging es Mädchen gegen Jungen. Als Mary mich sah, rief sie laut: »He, Lehrerin«, verfeuerte die Schneebälle in beiden Händen auf gut Glück und schlenderte über die Straße. »Bis morgen«, rief sie über die Schulter, mehr oder weniger eine Warnung, damit ihr niemand nachkam.
    »Auf dem Weg nach Hause?«, fragte sie. »Ich auch. Bin sonst immer mit Reddy gefahren, aber der ist mir inzwischen zu spät dran. Was machen Sie, nehmen Sie die Elektrische?«
    Ich sagte ja, und Mary sagte: »Ich kann Ihnen den anderen Weg zeigen, und Sie können Ihr Geld sparen. Den Waldweg.«
    Sie führte mich eine schmale, aber befahrbare Straße mit Blick auf die Stadt hinauf, dann durch den Wald und am Sägewerk vorbei.
    »Den Weg fährt Reddy immer«, sagte sie. »Der ist weiter oben, aber kürzer, wenn man zum San runter will.«
    Wir gingen am Sägewerk vorbei, unter uns hässliche Schneisen im Wald und einige Hütten, offenbar bewohnt, mit Holzstapeln, Wäscheleinen und Rauchfahnen. Aus einer davon kam mit heftigem Knurren und Bellen ein großer,

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