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Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Titel: Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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wolfsartiger Hund angerannt.
    »Du halt die Schnauze«, brüllte Mary. Im Nu hatte sie einen Schneeball geformt und so geworfen, dass er das Tier zwischen die Augen traf. Es schoss herum, und sie zielte schon mit einem weiteren Schneeball auf seinen Rumpf. Eine Frau in einer Schürze kam heraus und schrie: »Du hättst ihn umbringen können.«
    »Dann wär das Mistvieh endlich weg.«
    »Ich hol meinen Alten, der kriegt dich.«
    »Das wird mein Glückstag. Dein Alter trifft nicht mal das Scheißhaus.«
    Der Hund folgte in einiger Entfernung mit unaufrichtigen Drohungen.
    »Keine Angst, ich werde mit jedem Hund fertig«, sagte Mary. »Ich würde sogar mit einem Bär fertig werden, falls mir einer über den Weg läuft.«
    »Halten Bären zu dieser Jahreszeit nicht Winterschlaf?«
    Ich hatte ziemliche Angst vor dem Hund gehabt, aber Sorglosigkeit vorgetäuscht.
    »Klar, aber man kann nie wissen. Einer ist mal früh aufgewacht und hat sich über den Müll beim San hergemacht. Meine Mama hat sich umgedreht, und da war er. Reddy hat sein Gewehr geholt und ihn erschossen.
    Reddy hat mich und Anabel immer auf dem Schlitten mitgenommen, manchmal auch andere Kinder, und er hatte einen besonderen Pfeifton, der Bären abschreckt. Der war zu hoch für die Ohren von Menschen.«
    »Ist wahr? Hast du die Pfeife mal gesehen?«
    »Was für ’ne Pfeife? Ich meine, er machte das mit dem Mund.«
    Ich dachte an die Vorstellung im Klassenzimmer.
    »Ich weiß nicht, vielleicht hat er das nur gesagt, damit Anabel es nicht mit der Angst kriegte. Sie konnte nicht laufen, er musste sie auf dem Schlitten ziehen. Ich ging direkt hinter ihr, und manchmal bin ich auf den Schlitten aufgesprungen, und er hat gesagt, was ist denn mit dem Ding los, das wiegt ja eine Tonne. Dann hat er versucht, sich rasch umzudrehen und mich zu erwischen, aber das ist ihm nie gelungen. Und er hat Anabel gefragt, was macht das Ding so schwer, was hast du denn zum Frühstück gegessen, aber sie hat mich nie verpetzt. Wenn andere Kinder mit waren, hab ich’s nicht gemacht. Am besten war’s nur mit mir und Anabel, sie war die beste Freundin, die ich je haben werde.«
    »Was ist mit den Mädchen in der Schule? Sind das nicht deine Freundinnen?«
    »Mit denen bin ich nur zusammen, wenn sonst keiner da ist. Die sind gar nichts.
    Anabel und ich hatten im selben Monat Geburtstag. Im Juni. An unserm elften Geburtstag ist Reddy mit uns in einem Boot auf den See rausgefahren. Er hat uns Schwimmen beigebracht. Na ja, mir. Anabel musste er immer halten, sie konnte es nicht richtig lernen. Einmal ist er allein rausgeschwommen, und wir haben seine Schuhe mit Sand gefüllt. Und dann an unserem zwölften Geburtstag konnten wir so was nicht mehr machen, aber wir waren in seinem Haus und kriegten einen Kuchen. Sie konnte nicht mal ein kleines Stück davon essen, also hat er uns in seinem Auto mitgenommen, und wir haben Stücke aus dem Auto geworfen und die Möwen gefüttert. Die haben gekreischt und gekämpft wie wild. Wir haben uns schlapp gelacht, und er musste anhalten und Anabel stützen, damit sie keinen Blutsturz kriegte.
    Und danach«, sagte sie, »danach durfte ich sie nicht mehr sehen. Meine Mama wollte sowieso nie, dass ich mit Kindern zusammen bin, die TB haben. Aber Reddy hat sie überredet, er hat gesagt, er wird’s verbieten, wenn er muss. Das hat er dann getan, und ich war wütend. Aber es hätte sowieso keinen Spaß mehr gemacht, sie war zu krank. Ich würde Ihnen ihr Grab zeigen, aber da ist noch kein Kreuz oder so. Reddy und ich werden eins machen, sobald er Zeit hat. Wenn wir weiter geradeaus auf der Straße gegangen wären, statt den Weg bergab zu nehmen, wären wir zu ihrem Friedhof gekommen. Der ist nur für welche, die niemanden haben, der sie nach Hause holt.«
    Inzwischen waren wir auf ebenem Gelände angelangt und näherten uns dem San.
    Sie sagte: »Ach, hätt ich fast vergessen« und holte eine Handvoll Eintrittskarten hervor.
    »Für den Valentinstag. Wir führen in der Schule so ein Stück auf, es heißt
Die Seemannsbraut
. Die hier soll ich alle verkaufen, und Sie können mir die erste abnehmen. Ich spiel darin mit.«
     
     
    Ich hatte recht mit dem Haus in Amundsen, der Doktor wohnte wirklich dort. Er nahm mich zum Abendessen dahin mit. Die Einladung schien ganz spontan zu erfolgen, als er mir auf dem Flur begegnete. Vielleicht fiel ihm ein, dass er gesagt hatte, wir sollten uns mal zusammensetzen und über pädagogische Konzepte reden.
    Der Abend, den

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