Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
er vorschlug, war derjenige, für den ich eine Karte für die
Seemannsbraut
gekauft hatte. Ich erzählte ihm das, und er sagte: »Ich übrigens auch. Was nicht heißt, dass wir hingehen müssen.«
»Ich habe das Gefühl, ich hätte es ihr versprochen.«
»Nun, Sie können ja Ihr Versprechen zurücknehmen. Die Vorstellung wird schrecklich, glauben Sie mir.«
Ich tat wie geheißen, obwohl ich nicht nach Mary Ausschau hielt, um es ihr zu sagen. Ich wartete da, wo er es mir angegeben hatte, auf der Terrasse vor dem Haupteingang. Ich trug mein bestes Kleid aus dunkelgrünem Krepp mit den kleinen Perlknöpfen und dem Kragen aus echter Spitze und hatte meine Füße in hochhackige Wildlederschuhe gezwängt, bevor ich die Schneestiefel überzog. Ich wartete über die angegebene Zeit hinaus – besorgt, erstens, dass die Oberin aus ihrem Büro kommen und mich entdecken könnte, und zweitens, dass er es völlig vergessen hatte.
Doch dann erschien er, knöpfte im Gehen seinen Mantel zu und entschuldigte sich.
»Immer ist noch Kleinkram zu erledigen«, sagte er und führte mich unter den hellen Sternen um das Gebäude herum zu seinem Auto. »Sind Sie sicher auf den Beinen?«, fragte er, und als ich ja sagte – obwohl ich wegen der Wildlederschuhe im Zweifel war –, bot er mir nicht den Arm an.
Das Auto war alt und klapprig wie die meisten Autos zu jener Zeit. Es hatte keine Heizung. Als er sagte, dass wir zu seinem Haus fuhren, war ich erleichtert. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie wir im überfüllten Hotel zurechtkommen sollten, und ich hatte gehofft, nicht mit den Sandwiches im Café vorliebnehmen zu müssen.
Im Haus empfahl er mir, nicht den Mantel auszuziehen, bis es ein bisschen wärmer war. Er begann sofort damit, Feuer im Holzofen zu machen.
»Ich bin Ihr Hausmeister, Ihr Koch und Ihr Kellner«, sagte er. »Bald ist es hier gemütlich, und für das Essen brauche ich nicht lange. Bieten Sie keine Hilfe an, ich ziehe es vor, allein zu arbeiten. Wo möchten Sie warten? Wenn Sie wollen, können Sie sich die Bücher im Wohnzimmer anschauen. Mit dem Mantel an sollte es dort nicht zu unerträglich sein. Das Haus hat überall Ofenheizung, und wenn ich ein Zimmer nicht benutze, dann heize ich es nicht. Der Lichtschalter ist gleich neben der Tür. Es macht Ihnen doch nichts aus, dass ich die Nachrichten höre? Das habe ich mir so angewöhnt.«
Ich ging ins Wohnzimmer, in dem Gefühl, dass es mir mehr oder weniger befohlen worden war, und ließ die Küchentür auf. Er kam und schloss sie mit den Worten: »Nur bis wir es in der Küche ein bisschen warm haben«, und kehrte zu der düster dramatischen, fast gottesfürchtigen Stimme vom CBC zurück, die die Nachrichten dieses letzten Kriegsjahres verkündete. Ich hatte diese Stimme nicht mehr gehört, seit ich die Wohnung meiner Großeltern verlassen hatte, und ich wäre eigentlich lieber in der Küche geblieben. Aber es gab haufenweise Bücher anzuschauen. Nicht nur auf Bücherborden, sondern auf Tischen und Stühlen und Fensterbrettern und dem Fußboden. Nachdem ich mir einige angeschaut hatte, kam ich zu dem Schluss, dass er es vorzog, Bücher im Dutzend zu kaufen und wahrscheinlich Mitglied mehrerer Buchclubs war. Die Harvard-Klassiker.
Die Kulturgeschichte der Menschheit
von Will und Ariel Durant – eben die, die auf den Borden meines Großvaters zu finden waren. Romane und Gedichte schienen Mangelware zu sein, obwohl es ein paar überraschende Kinderklassiker gab.
Bücher über den amerikanischen Bürgerkrieg, den Krieg in Südafrika, die Napoleonischen Kriege, den Peloponnesischen Krieg und die Feldzüge von Julius Cäsar.
Expeditionen zum Amazonas und in die Arktis
.
Shackleton im Griff des Eises
.
Franklins Verhängnis
,
Die Donner-Expedition
,
Die verlorenen Stämme: Versunkene Städte in Zentralafrika
,
Newton und die Alchemie
,
Geheimnisse des Hindukusch
. Bücher, die auf jemanden deuteten, der bestrebt war, sich Wissen anzueignen, sich große, verstreute Wissensbrocken einzuverleiben. Nicht unbedingt jemand, dessen Vorlieben fest ausgeprägt waren.
Als er mich gefragt hatte: »Welcher russische Roman?«, konnte es also gut sein, dass er gar nicht auf so festem Boden stand, wie ich gedacht hatte.
Als er »Fertig« rief und ich die Tür aufmachte, war ich mit dieser neuen Skepsis bewaffnet.
Ich sagte: »Wer hat Ihrer Meinung nach recht, Naphta oder Settembrini?«
»Wie bitte?«
»Im
Zauberberg
. Wer gefällt Ihnen besser, Naphta oder
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