Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
gedrückt wird, falls er eine aufrechte Stellung bevorzugt. Ich weiß auch, dass ich diese Gefühle für mich behalten muss.
Ich wende meine Gedanken der Zukunft zu. Sobald wir in Huntsville ankommen, werden wir uns, nehme ich an, einen Geistlichen suchen und nebeneinander in einem Wohnzimmer stehen, das etwas von dem bescheidenen Wohlstand der Wohnung meiner Großeltern haben wird, von den Wohnzimmern, die ich seit meiner Kindheit kenne. Ich erinnere mich daran, wie mein Großvater auch noch, nachdem er im Ruhestand war, zu Hochzeitszwecken aufgestöbert wurde. Meine Großmutter rieb sich dann ein wenig Rouge auf die Wangen und holte ihre dunkelblaue, mit Spitzen besetzte Jacke hervor, die sie als Trauzeugin für solche Gelegenheiten bereithielt.
Aber ich entdecke die Möglichkeit von anderen Formen der Trauung und eine weitere Abneigung meines Bräutigams, die mir bisher entgangen ist. Er will nichts mit einem Geistlichen zu tun haben. Im Rathaus von Huntsville füllen wir Formulare aus, in denen wir versichern, dass wir ledig sind, und darum ersuchen, am Nachmittag von einem Friedensrichter getraut zu werden.
Zeit zum Mittagessen. Alister hält vor einem Restaurant, das ein Vetter ersten Grades von dem Café in Amundsen sein könnte.
»Recht so?«
Aber nach einem Blick in mein Gesicht überlegt er es sich anders.
»Nein?«, sagt er. »Na gut.«
Wir landen schließlich im frostigen Wohnzimmer eines der Bürgerhäuser, die Reklame für Mahlzeiten mit Hühnerfleisch machen. Die Teller sind eiskalt, es gibt keine anderen Gäste, es gibt keine Radiomusik, nur das Klappern unseres Bestecks, während wir versuchen, Teile von dem zähen Huhn abzulösen. Ich bin sicher, er denkt, wir wären in dem Restaurant, das er als Erstes vorschlug, besser aufgehoben gewesen.
Trotzdem habe ich den Mut, mich nach der Damentoilette zu erkundigen, und dort, in kalter Luft, noch bedrückender als die im Wohnzimmer, schüttle ich mein grünes Kleid aus und ziehe es an, male die Lippen nach und ordne meine Haare.
Als ich herauskomme, steht Alister auf, um mich lächelnd zu empfangen, drückt meine Hand und sagt mir, wie hübsch ich aussehe.
Wir gehen steif zum Auto, halten uns bei den Händen. Er öffnet mir die Autotür, geht herum und steigt ein, setzt sich zurecht und dreht den Zündschlüssel um, dann stellt er die Zündung wieder ab.
Das Auto steht vor einem Eisenwarengeschäft. Schneeschaufeln gibt es zum halben Preis. Im Schaufenster hängt immer noch ein Schild, auf dem steht, dass hier Schlittschuhe geschliffen werden.
Auf der anderen Straßenseite steht ein Holzhaus, das mit gelber Ölfarbe angestrichen ist. Die Treppe zu seiner Tür ist nicht mehr sicher und mit zwei gekreuzten Brettern vernagelt.
Der Laster, der vor Alisters Auto steht, ist ein Vorkriegsmodell mit Trittbrettern und einem Rostrand um die Stoßstangen. Ein Mann in einem Overall kommt aus dem Geschäft und steigt ein. Nach einigen Motorproblemen, dann einigem Rattern und Rumpeln auf der Stelle wird der Laster weggefahren. Jetzt versucht ein Lieferwagen mit dem Schriftzug des Geschäfts, in den frei gewordenen Platz einzuparken. Der Platz reicht nicht ganz. Der Fahrer steigt aus, kommt heran und klopft an Alisters Fenster. Alister ist überrascht – wenn er nicht so ernst geredet hätte, wäre ihm das Problem aufgefallen. Er kurbelt das Fenster herunter, und der Mann fragt, ob wir da stehen, weil wir vorhaben, etwas in dem Geschäft zu kaufen. Wenn nicht, würden wir dann bitte weiterfahren?
»Sind schon weg«, sagt Alister, der Mann, der neben mir sitzt und vorhatte, mich zu heiraten, aber mich jetzt nicht mehr heiraten wird. »Wir sind schon weg.«
Wir. Er hat »wir« gesagt. Für einen Augenblick klammere ich mich an dieses Wort. Dann denke ich, das ist das letzte Mal. Das letzte Mal, dass ich in sein »wir« eingeschlossen bin.
Dabei kommt es auf das »wir« gar nicht an, es ist nicht das »wir«, das mir die Wahrheit sagt. Es ist sein Mann-zu-Mann-Ton zu dem Fahrer, seine ruhige und vernünftige Entschuldigung. Ich könnte mir jetzt wünschen, zu dem zurückzukehren, was er vorher gesagt hat, als er den Lieferwagen, der einparken wollte, nicht einmal bemerkte. Was er in jenen Minuten sagte, war schrecklich, aber in seinem festen Griff um das Lenkrad, in diesem Griff und in seiner Konzentration und in seiner Stimme lag dabei Schmerz. Ganz egal, was er sagte und meinte, er sprach in jenen Minuten aus demselben innersten Ort heraus, aus dem er
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