Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
Mädchen, das in ihrer Straße wohnte, hatte davon gesprochen, gerne abends arbeiten zu wollen. Tagsüber konnte sie nicht, da sie ihrer Mutter helfen musste, für die jüngeren Kinder zu sorgen. Sie war aufgeweckt genug, allerdings schüchtern.
Morgan sagte, das mache nichts – eine Kassiererin sei nicht dazu da, um mit den Zuschauern zu plaudern.
Also kam das Mädchen. Sie hieß Leah, und Morgans erste und letzte Frage an sie lautete, was das für ein Name war. Sie sagte, der sei aus der Bibel. Da fiel ihm auf, dass sie nicht geschminkt war und dass ihre Haare unvorteilhaft an den Kopf geklatscht und dort mit Spangen festgehalten waren. Er fragte sich einen Augenblick lang, ob sie wirklich schon sechzehn war und damit legal arbeiten durfte, aber von nahem sah er, dass es wahrscheinlich stimmte. Er sagte ihr, an Werktagen müsse sie eine Vorstellung machen, die um acht anfing, und an Samstagen zwei, die erste fing um sieben an. Nach Schluss sei sie dafür verantwortlich, die Einnahmen zu zählen und wegzuschließen.
Es gab nur ein Problem. Sie sagte, an Werktagen könne sie abends allein nach Hause gehen, aber samstags dürfe sie das nicht, und ihr Vater konnte sie nicht abholen, da er an Wochenenden nachts in der Fabrik arbeiten musste.
Morgan sagte, er wüsste nicht, was es in einer Stadt wie dieser zu fürchten gab, und wollte sie schon wegschicken, als ihm der Nachtwachtmeister einfiel, der seine Runden oft unterbrach, um ein Stück vom Film zu sehen. Vielleicht konnte der es übernehmen, Leah nach Hause zu bringen.
Sie sagte, sie werde ihren Vater fragen.
Ihr Vater war einverstanden, stellte aber noch andere Bedingungen. Leah durfte nicht auf die Leinwand schauen oder die Dialoge mit anhören. Die Religion, der seine Familie angehörte, erlaubte das nicht. Morgan sagte, dass er seine Kassiererinnen nicht einstellte, damit sie sich umsonst Filme anschauten. Was die Dialoge anging, da schwindelte er und behauptete, der Kinosaal sei schalldicht.
Ray Elliot, der Nachtwachtmeister, hatte diesen Dienst übernommen, damit er seiner Frau wenigstens während eines Teils der Tageszeit zur Hand gehen konnte. Er kam mit fünf Stunden Schlaf am Morgen und einem Nickerchen am späten Nachmittag aus. Oft wurde aus dem Nickerchen nichts, weil es im Haus etwas zu tun gab oder einfach, weil er mit seiner Frau – sie hieß Isabel – ins Gespräch vertieft war. Sie hatten keine Kinder und konnten jederzeit über allerlei ins Gespräch kommen. Er erzählte ihr die Neuigkeiten aus der Stadt, die sie oft zum Lachen brachten, und sie erzählte ihm von den Büchern, die sie las.
Ray hatte sich zum Militär gemeldet, sobald er achtzehn war. Er entschied sich für die Luftwaffe, die, wie es hieß, die meisten Abenteuer und den schnellsten Tod versprach. Er war Rückenturmschütze gewesen – ein Posten, den Isabel nie recht verorten konnte –, und er hatte überlebt. Kurz vor Ende des Krieges war er zu einer neuen Flugzeugbesatzung versetzt worden, und innerhalb von zwei Wochen wurde seine alte Besatzung, die Männer, mit denen er so oft geflogen war, abgeschossen und fand den Tod. Er kam mit dem vagen Gedanken nach Hause, etwas Sinnvolles mit dem ihm auf so unerklärliche Weise verbliebenen Leben anfangen zu müssen, aber er wusste nicht, was.
Als Erstes musste er die Highschool abschließen. In der Kleinstadt, in der er aufgewachsen war, gab es neuerdings eine Spezialschule für Kriegsveteranen, die genau das taten und hofften, danach aufs College gehen zu können, mit finanzieller Hilfe der dankbaren Bürger. Die Lehrerin für Englische Sprache und Literatur war Isabel. Sie war dreißig Jahre alt und verheiratet. Ihr Mann war ebenfalls Veteran und stand im Rang wesentlich höher als die Schüler in ihrem Englischunterricht. Sie plante, aus allgemeinem Patriotismus dieses eine Jahr lang zu unterrichten, sich dann zurückzuziehen und Kinder zu bekommen. Sie besprach das offen mit ihren Schülern, die knapp außerhalb ihrer Hörweite sagten, manche Burschen haben mehr Glück als Verstand.
Ray mochte solches Gerede nicht hören, aus dem einfachen Grunde, dass er sich in sie verliebt hatte. Und sie sich in ihn, was wesentlich erstaunlicher war. Alle außer den beiden selbst fanden das grotesk. Es kam zur Scheidung – ein Skandal für ihre angesehene Familie und ein Schock für ihren Mann, der sie hatte heiraten wollen, seit sie Kinder waren. Ray kam leichter damit durch, da er kaum Verwandte hatte, und diese
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